3. April 1808

Mädchen, welches Glutverlangen. Am 3. April 1808 schreibt Joseph von Eichendorff in Heidelberg ins Tagebuch: "... Schöner warmer Abend. K.(äthchen) umschlungen u. sehr lieb. An der wohlbekannten Hecke am Bache langer herzlicher Abschied." Zwei Tage später reist er überhastet ab. Eichendorfffs "Mühlenromantik": Mühlen sind eine Innovation aus dem Orient.

Kätchen. Der Romantiker Joseph von Eichendorff war nicht vor dem Schmerz des Verlustes einer großen Liebe verschont. Das Tagebuch - in dem er immer wieder von Käthchen berichtet (die er dort allerdings nur mit "K." benennt) - zeugt jedenfalls von einem großen Glücksgefühl, wie es eben Liebenden eigen ist. Doch dieses Glück scheint nach diesem 3. April 1808 aus irgendeinem Grund zerbrochen zu sein. Eichendorff reist jedenfalls am 5. April überhastet mit seinem Bruder nach Paris ab. Das Tagebuch gibt keine Auskunft darüber, da es auch hier endet, sei es, weil die folgenden Berichte vernichtet wurden oder weil es einfach nicht weitergeführt wurde. Möglich auch, dass die Familie von Katharina interveniert hat. Joseph von Eichendorff hat jedenfalls mit dem Gedicht "Das zerbrochene Ringlein" seiner Liebe zu Käthchen ein Denkmal gesetzt. Das Gedicht wurde durch Friedrich Glück zu dem bekannten Volkslied "In einem kühlen Grunde" vertont.






Anhören: Comedian Harmonists: In einem kühlen Grunde (Das zerbrochene Ringlein)





Das zerbrochene Ringlein

In einem kühlen Grunde
Da geht ein Mühlenrad,
Mein' Liebste ist verschwunden,
Die dort gewohnet hat.
Sie hat mir Treu' versprochen,
Gab mir ein Ring dabei
Sie hat die Treu' gebrochen,
Mein Ringlein sprang entzwei.

Ich möcht' als Spielmann reisen
Weit in die Welt hinaus,
Und singen meine Weisen,
Und gehn von Haus zu Haus.

Ich möcht' als Reiter fliegen
Wohl in die blut'ge Schlacht,
Um stille Feuer liegen
Im Feld bei dunkler Nacht.

Hör ich das Mühlrad gehen:
Ich weiß nicht, was ich will-
Ich möcht' am liebsten sterben,
Da wär's auf einmal still.


Katharina. Im Januar 1789 geboren, war 1807, als die Brüder Eichendorff nach Heidelberg kamen, 18-jährig, Joseph von Eichendorff 19. Sie arbeitete bei ihrem Bruder, einem Bäckermeister, im Haushalt. Dabei traf sie auf die Eichendorff-Brüder, die sich hier einlogiert hatten. Aus einer anfänglichen Tändelei scheinen die beiden jungen Menschen in eine tiefe Zuneigung und Liebe zueinander gefunden zu haben. Von wegen "Treue gebrochen": Katharina starb, ledig geblieben, mit 48 Jahren.

Heidelberg. Joseph von Eichendorff kam mit seinem um zwei Jahre älteren Bruder im Mai des Jahres 1807 nach Heidelberg. Er hatte sein Jurastudium in Halle begonnen und wechselte - gemeinsam mit seinem Bruder Wilhelm - an die Universität Heidelberg, nachdem Halle von napoleonischen Truppen besetzt worden war. Trotz des kurzen Aufenthaltes und des jugendlichen Alters war Joseph von Eichendorff (1788-1857) für die Heidelberger Romantik von großer Bedeutung.



Eleusischer Bund. In Heidelberg bildeten die Brüder Eichendorff gemeinsam mit Wilhelm Budde, Friedrich Strauß und Otto Heinrich Graf von Loeben den "eleusischen Bund", einen Dichterzirkel innerhalb der Heidelberger Romantik. Vom Heidelberger Kreis setzte sich der eleusische Bund insofern ab, als dass sich der Heidelberger Kreis - mit dem Ziel der Wiederentdeckung einer deutschen Identität - vor allem mit altgermanischen Sagen und Volksdichtungen beschäftigte, während der eleusische Bund eher an einer gegenwartsbezogen, ästhetisch orientierten Romantik interessiert war. Die Eichendorffs sahen also davon ab, die altgermanische Mythologie in ihrem literarischen Schaffen ideologisch zu instrumentalisieren. Trotzdem waren auch sie von der Thematik fasziniert und sollen vor allem wegen Görres' Mythologie-Vorlesungen nach Heidelberg gekommen sein. Mit Görres waren die Eichendorffs ferner auch aus konfessionellen Gründen sehr eng verbunden. So waren beide, genau wie Görres, überzeugte Katholiken, während die deutsche Literatur im Zeitalter der Romantik und des Vormärz sonst eher antikatholisch geprägt war.

In einem kühlen Grunde: Mühlenromantik. Wurden Wassermühlen in abseits gelegenen Tälern eher in romantischer Dichtung verklärt, spielten Müller und Mühlen besonders in Märchen eine bedeutende Rolle. Die romantische Wirkung der übrig gebliebenen Museumsstücke wirken auch heute noch auf den Betrachter und Wanderer, der auf diese besonderen Orte einer vergangenen Epoche stößt. Mühlenromantik unterschlägt allerdings ihre wirkliche Bedeutung.

"Wer zuerst kommt, mahlt zuerst." Noch heute wird das beliebte Sprichwort benutzt - auch wenn man es nun nicht mehr wörtlich meint. Schon im Sachsenspiegel (dem ältesten dt. Rechtsbuch, um 1220) war dieser Grundsatz festgehalten: Sachsenspiegel: II., A 59 § 4: "Wer ouch erst zu der mulen kumt, der sal erst malen...".

Den Mühlen kommt für das Werden Europas enorme Bedeutung zu: Im positiven wie negativen Sinne. Die Kriegführung und Versorgung großer Heere wurde mit dem "Brot" leider auch einfacher und damit großräumiger. Landwirtschaftliche Innovationen waren die Träger: ab dem 8. Jahrhundert vermerkt man die Einführung der Drei-Felder-Wirtschaft (1/3 der Felder Sommergetreide, 1/3 der Felder Wintergetreide und 1/3 der Felder lag brach oder wurde mit Gemüse bebaut). Der jährliche Wechsel verhinderte ein Auslaugen des Bodens. Ab dem 9. Jh. sind verbesserte Pflüge bezeugt und die Pferde wurden mit Eisen beschlagen. Im 10. Jh. kommt es zur Verwendung des Kummets, was zu einer erheblichen Verbesserung der Zugkraft der Nutztiere führt. Das Tier als Energiequelle wurde intensiver genutzt, zum Beispiel für Wagen, Pflug und für den Göpel. Doch die tierische Kraft wurde, bis zur Verbesserung des Zuggeschirrs nicht voll genutzt, denn der Zugochse, das Pferd oder der Esel wurden meist so angeschirrt, dass das Tier nicht mit Brust und Schulter, sondern nur mit dem Hals ziehen konnte. Dabei wurde dem Tier - nicht nur wenig tierfreundlich - die Luftröhre zusammengedrückt, was zu erheblichen Leistungseinbußen führte. Es kommt dann zur Entstehung der ersten Wassermühlen und mit der Bedeutung des Eisens folgen Werkzeuge, Räderpflug, Egge. Im 12. Jahrhundert wird der vierrädrige Wagen wie auch der Dreschflegel zu einer tragenden Innovation.



Innovation aus dem Morgenland. Die Erfindung der Mühlen - wie auch später der Windmühle - wurde aus arabischen Ländern importiert. Aus simplen Mahlsteinen (4000 vor unserer Zeit) und dem Wasserrad (3000 vor unserer Zeit) wurde die Wassermühle, die der römische Architekturphiliosoph Vitruv im Jahr 10 vor unserer Zeit beschrieb. Eine wenig beachtete Leistung des Christentums wiederum war die Abschaffung der Sklaverei im Abendland und damit ebenfalls Motor für technologische Neuerungen. Das bedeutet: was bis dahin mit der Menschenkraft der Sklaven bewältigt worden war, musste nun nach Möglichkeit mit Hilfe anderer Energien geschafft werden. Als nächstliegende Energiequelle bot sich das fließende Wasser an.

Das tägliche Brot. Im Mittelalter befanden sich die Mühlen zunächst im Besitz einer Dorfgemeinschaft. Als sich Adel und Kirche aber zunehmend in den Besitz des Bodens brachten, galt: "Wessen der Grund ist, dessen ist die Mühle". Die Müller wurden nun Pächter eines Grundherren, der den Mühlenbann und Mahlzwang verfügte, das bedeutete, dass im Umkreis einer Mühle alle Bauern ihr Getreide bei ihrer Herrschaftsmühle mahlen lassen mussten. Nur in abgelegenen Tälern konnte dieser Mahlzwang umgangen werden und hauseigene Wassermühlen weiter betrieben werden.

Die umständliche und mühsame Mehlbeschaffung im Mittelalter und die vielerorts ebenfalls übliche Besteuerung der Backöfen hatte zur weiteren Folge, dass man seltener, oft nur noch wenige Male im Jahr Brot fertigte. Natürlich war dann das lange gelagerte Brot häufig schimmlig, doch daran störte man sich nicht. So beschreibt Jeremias Gotthelf noch im 19. Jahrhundert das "graue" Brot, das im Sommer häufig den "Gauch" gehabt habe, halbzentimeterlangen grünen Schimmel, den der Knecht vor dem Anschneiden mit dem Ärmel wegwischte. Zwar lockerten sich die Bannrechte im Lauf der Zeit etwas, doch endgültig abgeschafft wurden sie erst Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts.

Von der Klosterbäckerei zu Sankt Gallen wird berichtet, dass der Backofen 1000 Brote auf einmal gefaßt haben soll (Codex 615 der Stiftsbibliothek St.Gallen). Schon auf dem Klosterplan um 820 sind drei Bäckereien verbürgt. Auf einer berühmten Elfenbeintafel belohnt der Klostergründer, der heilige Gallus, einen Bären, der ihm Holz herbeischafft, mit einem Laib Brot.

Durch die Einführung des relativ anspruchslosen Roggens breitete sich zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert der Getreideanbau in Europa aus. Eng damit verbunden war die Dreifelderwirtschaft, die das Getreide besonders begünstigte. Dieses Wirtschaftssystem dominierte fortan weite Teile Deutschlands. Es verhinderte aber auch die Ausbreitung anderer Kulturpflanzen und war damit die eigentliche Ursache für eine einseitige Ernährung auf Getreide-Basis, die den Speisezettel der Bevölkerung im Mittelalter bestimmen sollte. Mit dem Absolutismus setzte in Frankreich im 16. Jahrhundert beim Adel eine Verfeinerung der Lebensart ein, und darum wurden jetzt auch besondere Ansprüche an das Brot gestellt: Nur feinstes kleiefreies Weizenbrot hielt man für standesgemäß, während das Volk weiterhin dunkles Brot aß und auch essen sollte. Das änderte sich erst mit der Französischen Revolution 1789: Die Herrschaft des Adels wurde abgeschafft, aber seine Wertvorstellungen galten weiterhin, ganz besonders in Bezug auf das Brot: Weißes Mehl galt als erstrebenswert, und ob reich, ob arm, für alle wurde nun aus dem gleichen Mehl gebacken.

Industrialisierung. Lange dauerte es, bis sich die Müller auf den Wind als weitere Energiequelle besannen. Die allgemein bekannten Windmühlen gelangten im 12. Jahrhundert wiederum durch die Araber nach Mitteleuropa. Ihr ursprünglicher Zweck bestand darin, Mehl zu mahlen und Wasser ab- bzw. hoch zu pumpen. Mühlen waren nicht nur zur Verarbeitung des Korns geeignet. Entscheidend war, dass sie dann auch in den frühen Industrien eingesetzt wurden. Bis zur Erfindung der Dampfmaschine hat man ja alles mit Wind und Wasserenergie, also mit Mühlen betrieben: die Bergwerke wurden damit entwässert usw. Heute sprechen Historiker in diesem Zusammenhang sogar davon, dass die erste industrielle Revolution, die wir immer mit dem 19. Jahrhundert verbinden, schon im Mittelalter stattgefunden hat. Im 19. Jahrhundert unterlagen die Mühlen dann immer mehr den Dampfmaschinen. Zum Beispiel wurde 1839 die Trockenlegung des 18.000 Hektar großen Haarlemer Meeres zwischen Haarlem und Amsterdam beschlossen. Nach den Berechnungen wären hierfür 160 Windmühlen erforderlich gewesen. Stattdessen errichtete man drei dampfgetriebene Schöpfwerke, die das riesige Gebiet zwischen 1849 und 1852 trockenlegten und 800 Millionen Kubikmeter Wasser in die Nordsee beförderten.


Links:

Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff - Biografie, Werke, Inhaltsangaben, Bibliografie
Ausstellungsbilder Quelle: Eichendorff wiederfinden

Bildnachweis:
Portrait um 1885
Gedicht: An A[malia]. S[chaffner].: Mädchen, welches Glutverlangen
Verschollenes Ölbild "schwarzer Ritter" von E. Krupa-Krupinski, 1899


[Erwähnte Kalendertage in diesem Beitrag: 3. April 1850]

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