10. April 1929

Frau Brecht: Ich habe gut gekocht ... . Am 10. April 1929 heiratet die Schauspielerin Helene Weigel. Von nun ab verläuft ihre Karriere in anderen Bahnen. Aus der österreichischen Jüdin und erfolgreichen Schauspielerin wurde damit nicht nur Bertolt Brechts Ehefrau, sondern auch eine Exilantin, Mutter, Intendantin und Bürgerin der DDR.

Brechts Frauen. Bei den heutigen Maßstäben von Emanzipation käme Bert Brecht schlecht weg, und tatsächlich kann man die Literatur über "Brecht und die Frauen" auch schon mit dem Meterstab im Regal messen. Mit Brechts Frauen, seinen Geliebten und Mitarbeiterinnen, hat sich eine ganze Generation von Germanisten beschäftigt. Aber schon vorher wusste man, dass diese Arbeits- und Liebesbeziehungen nicht im Gleichgewicht waren: Die Werke wurden gemeinsam produziert, aber sie erschienen unter Brechts Namen. Doch lassen diese Betrachtungen alle die weibliche Sozialisation zu Beginn des 20. Jahrhunderts außer Acht und sagen auch nichts über die damaligen Chancen für eine Frau, sich im Kulturbetrieb überhaupt zu behaupten. Schon seine erste dauernde Freundin, eine Jugendliebe aus der Studienzeit und Arzttochter, seine "Bi" ("Bittersüß") wie er sie liebevoll nannte, durfte den "Bummelstudenten" und "Bänkelsänger" Brecht nicht heiraten. Als sie 1919 schwanger ist und den gemeinsamen Sohn Frank erwartet, musste sie auf Veranlassung der Eltern die Zeit bis zur Geburt in einem Dorf verbringen.



Helene Weigel. In Bertolt Brechts "Trommeln in der Nacht" hatte Helene Weigel 1922 am Deutschen Theater zwei kleine Rollen gespielt und den Jungstar-Autor auf der Premierenfeier kennen gelernt. Aus deren Beziehung ging 1924 das erste Kind hervor. Die beiden heirateten 1929. Helene Weigel beeinflusste Bertolt Brechts Frauenrollen entscheidend und verkörperte diese mit eindrücklichem Spiel. Und sie war keine "Zutat" zu Brecht, wie Brechts Frauen gerade aus erbost-emanzipatorischen Frauendarstellungen leuchten.

Helene Weigel wurde am 12. Mai 1900 in Wien als zweite Tochter eines jüdischen Prokuristen und der Inhaberin eines Spielwarengeschäftes geboren. Sie genoss von 1915 bis 1918 eine künstlerische Ausbildung und erhielt ab 1918 erste Theaterengagements, so am Neuen Theater in Frankfurt, am Staatlichen Schauspielhaus Berlin und am Deutschen Theater in Berlin. Schon mit 17 Jahren sprach sie bereits bei der Wiener Volksbühne vor, mit Erfolg und gegen den Willen ihrer Eltern. Mit dabei war ihre mütterliche Freundin, die dänische Schriftstellerin Karin Michaelis, die fortan ihren Berufswunsch unterstützte und auch den ersten Exilaufenthalt in Dänemark organisierte.



Michaelis berichtet schon 1919 über die Vorsprache der damals 17-jährigen ohne Theaterausbildung in der Vossischen Zeitung: "Diese groben frostgeschwollenen Hände, dies sture strähnige Haar, dies tote Gesicht, dieser hängende Körper. Das Mädel glaubt selbst, dass es Komödie spielen kann. Sie will sich das Leben nehmen, wenn man ihr nicht erlaubt, eine Probe abzulegen. Das ist ihre fixe Idee, von der keine noch so brutale Offenheit sie abzubringen vermag." Keineswegs verwandelte sich das erloschene Wesen sodann etwa in einen prächtigen Schwan. Doch mit ihrem Balladen-Vortrag - "Dein Schwert, wie ist's von Blut so rot! Edward! Edward!" - schlug Helene Weigel ihre Zuhörer in einen wahren Schreckens-Bann. Längst hatte der Theaterdirektor ihr gedeutet, er habe genug gehört. Sie aber brachte den schaurigen Text von Schande und Rache zu Ende: "Als sie schwieg, hatte Edwards Fluch nicht nur die Schuldige getroffen, uns alle fror bis ins Rückenmark hinein."

1925 erfuhr sie den künstlerischen Durchbruch am Renaissancetheater mit Pirandellos "Das Leben, das ich dir gab". Kritiker hoben ihre gestische Kraft hervor. Im dritten Jahr ihrer Beziehung zu Brecht wurde der Grundstein zur künstlerischen Zusammenarbeit gelegt, aus der sich nicht nur sofort eine neue Stufe des Erfolgs für die Weigel ergab, sondern auch wichtige Orientierungen für ihr späteres Profil. Der Umschwung war allerdings keineswegs radikal, denn bis Ende der zwanziger Jahre galt Helene Weigel als lärmendste Schauspielerin Berlins.

1927 trat Helene Weigel in Fritz Langs legendärem Stummfilm "Metropolis" auf. Doch das Theater bildete weiterhin den Mittelpunkt ihres Lebens. Ein neuer Abschnitt ihrer Karriere vollzog sich 1929 mit der Adaptation der epischen Spielweise bei "König Ödipus" von Sophokles/Hofmannsthal. Die Verbindung zu Brecht, mit dem sie im April 1929 die Ehe einging, war offensichtlich. Wie Bertolt Brecht war auch Helene Weigel politisch engagiert und trat 1930 der kommunistischen Partei bei. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, emigrierte das Ehepaar mit den Kindern zunächst in die Schweiz, danach gingen sie via Skandinavien in die USA. In den USA spielte Helene Weigel eine winzige Rolle im Film "The Seventh Cross".

Als Helene Weigel am 6. Mai 1971, eine Woche vor ihrem 71. Geburtstag, stirbt, war sie eben noch in Paris auf der Bühne: Siebzigjährig, spielt die Schauspielerin und Intendantin Helene Weigel auf einem Gastspiel in Paris noch einmal die Mutter. Längst krank, brechen ihr beim Herumgeschwenktwerden auf der Bühne einige Rippen. Sie spielt das Stück zu Ende, absolviert noch einen Empfang, keiner bemerkt etwas.

Sie realisierte durch ihr Schauspiel Brechts episches Theater wie keine andere. Aber so sehr sie als die "Mutter Courage" verkürzt in Erinnerung ist, erbrachte sie vor der Ehe mit Brecht ihre eigenen Leistungen, sie leistete im Exil unendliches für die Familie, bis zur Organisierung der ersten Nachkriegsaufführung in Chur. Bis zu ihrem Tode war Helene Weigel mehr als 20 Jahre Intendantin des Berliner Ensembles, davon die längste Zeit nach Brechts Tod. Sie reiste nicht als Brechts Witwe in der Welt herum, sondern kümmerte sich um reale Dinge.


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