11. April 1833

Die Geburt der Freiheit in Krähwinkel. Am 11. April 1833 wird Johann Nepomuk Nestroys "Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt" erstmals aufgeführt. Damit beginnt Nestroys Erfolg und Durchbruch als Dramatiker. Seine letzte öffentliche Rolle wird in eben diesem Stück wieder die des Knieriems sein.

Satiren. Als Dichter und Künstler wird oft vorschnell dem Biedermeier im Sinne einer Nachtwächterkunst - im Gegensatz zu den hehren Dichtern des Vormärzes - zugeordnet. Doch gehört Nestroy zweifellos zu den wichtigsten satirischen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts. Er hat über 80 Volksstücke, Singspiele und Lokalstücke, häufig mit Musik- und Gesangseinlagen geschrieben. Karl Kraus hat von ihm gesagt, dass Nestroy der erste deutsche Satiriker ist, in dem sich die Sprache Gedanken über die Dinge macht. Und von Nestroy und in Nestroys Stücken werden oft mit viel Witz die Zeitumstände, insbesondere die Metternich'sche Zensur auf die Schaufel genommen: "Die Zensur ist das lebendige Geständnis der Großen, dass sie nur verdummte Sklaven treten, aber keine freien Völker regieren können".



Marcel Reich-Ranicki. Reich-Ranicki der Nestroy und Raimund (nicht aber Grillparzer!) in den Kanon der deutschen Dramen aufgenommen hat, beschreibt Nestroy so: "Er war alles auf einmal: Autor, Übersetzer, Schauspieler, Sänger, Regisseur und Entertainer. Er hinterließ über achtzig Bühnenarbeiten, neben einigen wunderbaren Parodien meist Possen, die er aus dem Französischen übersetzte, mit Gesangseinlagen versah und für das Wiener Publikum kräftig bearbeitete. Geblieben ist er, was er schon zu Lebzeiten war: der erfolgreichste Vertreter des Wiener Volkstheaters und einer der besten Humoristen und witzigsten Satiriker, die es je in Österreich gegeben hat, ironisch, aggressiv und natürlich zeitkritisch. Die häufige Verwendung des Dialekts konnte Nestroys Ruhm im ganzen deutschen Sprachraum nicht beeinträchtigen."

Die drei bedeutendsten Dramatiker des Biedermeier stammen aus Österreich: Grillparzer, der in der Tradition des Wiener Burgtheaters stand und bis heute gerne in Österreichs Schulbüchern und die beiden ganz anderen, die Volksbühnenautoren Nestroy und Raimund. Nestroy und der etwas ältere Raimund hatten mit der deutschen Klassik nichts im Sinn. Sie knüpften an eine ganz andere Tradition an – nämlich an die des Wiener Volkstheaters. Sie schufen Märchenstücke und Lokalpossen mit Gesangseinlagen, die sich, sehr zu Recht, bis heute im Spielplan halten. Johann Nestroys Komödien tragen oft groteske Züge und üben so eine verstärkte Zeitkritik. Viele Stücke Nestroys tragen Doppelbezeichnungen, wie die am meisten aufgeführte Komödie "Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt". Ferdinand Raimund führte die Tradition des im 18. Jh. entstandenen Wiener Volkstheaters fort. Das Grundthema seiner Stücke ist sowohl inhaltlich als auch formal von Zerrissenheit geprägt.



Biedermeier, Zensur & Revolution. Wichtig sind in dieser Biedermeierliteratur epische Kleinformen, wie Erzählung, die Skizze, das Märchen und die Idylle. Reime haben eine große Bedeutung, es entstehen Gedichte, die zu Zyklen zusammengeschlossen werden. Im Biedermeier wird das Volksstück zum Publikumsliebling Nummer eins, eine Entwicklung, die untrennbar mit dem Namen Johann Nepomuk Nestroy verbunden ist. Der Bürger betritt als "Held" die Theaterbühne, und von dort aus die politische Bühne des bürgerlichen Zeitalters. Das Volksstück ist eine Form des Schauspiels für das Volk und über das Volk, d.h. für die breite Masse der Bevölkerung, nicht nur für die "Oberen". Es ist gerade im Gegensatz zum Theater der Oberschicht, die das Hoftheater hat, ein Theater des Volkes, womit sich zeigt, dass Volksdramatik eine Alternativdramatik zum Bildungstheater ist. Die Stücke des engagierten Volkstheaters werden oft als Zaubermärchen (bei Raimund), Lustspiel, Posse (bei Nestroy), Schwank oder auch Operette - die in Wien ab 1850 als musikalische Weiterentwicklung des damaligen Volksstückes gilt - bezeichnet.



Die Motivation Nestroys war, nach seinen eigenen Angaben, Stücke zu schreiben, die dem Zuseher gefallen und ihm selbst - auch das verschwieg er nicht - ein Auslangen gewähren. Gesellschaftskritik war ihm keineswegs fremd. Dazu bediente er sich gerne der Couplets und konnte so der Zensur Metternichs ausweichen. Das Couplet ist ein mehrstrophiges witzig-zweideutiges, politisches oder scherzhaft-satirisches Lied mit Refrain und Kehrreim. Der Inhalt ist frivol oder intellektuell und wird häufig - vor allem bei Nestroy - auch improvisiert als Einlage innerhalb von Operetten, Singspielen, Einaktern etc. Die Theaterstücke dieser Zeit wurden von Beamten zum Zwecke der Zensur besucht. Da die kritischen Texte der Couplets täglich anders lauteten, konnte die Zensur nicht einschreiten und Nestroy kam ans Ziel.

Wie der Jonas ins Meer hinein'plumpst is, was geschieht?
Kommt ein Walfisch und schlickt ihn vor lauter Appetit;
Doch er muss ihm nicht g'schmeckt hab'n,
's war ein heikliges Viech.
Nach drei Tag'n gibt er'n ganzen Propheten von sich.
Das hab'n d'Leut unerhört
Für ein Wunder erklärt.
Wir hab'n Politiker jetzt voll prophetische Gab'n,
Die bei all'n, was g'schieht,
sag'n, dass sie's voraus gewusst hab'n;
Ohne dass sie wer schlickt,
lieg'n s' allen Leuten im Magen,
Was kein Walfisch verdaut,
müssen oft Menschen ertragen.
Und man nennt das kein Wunder jetzt mehr heutzutag'
Man find't 's ganz natürlich und kein Hahn kräht danach!


Freiheit in Krähwinkel. In dem Revolutionsstück "Freiheit in Krähwinkel", das im Jahr 1848 uraufgeführt wurde, wird unmittelbar politische Kritik laut – Nestroy wendet sich darin gegen die Reaktion im deutschen Revolutionsjahr. Aber der Autor zweifelt gleichfalls an der Wirksamkeit ausschließlich rhetorischer Formulierungen im Revolutionsjargon. Nestroys komödienhafte, satirische Bühnenstücke dienten auch anderen Schriftstellern als Anregung für das eigenen Schaffen, wie zum Beispiel Ödön von Horváth, Karl Kraus oder Friedrich Dürrenmatt. Nestroys Titel "Einen Jux will er sich machen" (1842) wurde zur literarischen Vorlage von Thornton Wilders Komödie "The Matchmaker" oder zu dem Musical "Hello Dolly".



Links:

Johann Nepomuk Nestroy (*7.12.1801-†25.5.1862)
Internationales Nestroy Zentrum

[Erwähnte Kalendertage in diesem Beitrag. 11. April 1833, 7. Dezember 1801, 25. Mai 1862]

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