Verfassung und Demokratie als Potemkinsches Dorf. Am 29. April 1926 wird im Apollo-Kino in Berlin uraufgeführt. In Vorarlberg lässt der spätere Kurzzeit-Bundeskanzler und Vorarlberger Landeshauptmann Otto Ender trotz gesetzlichen Verbots der Zensur 1926 die Vorführung des Films untersagen. Die junge österreichische Erste Republik kannte eigentlich seit 1918 keine Zensur mehr!
Zensurgeschichte. In Österreich gab es in Vergleich zu Deutschland weit weniger Aufsehen um den "Panzerkreuzer". In Wien wurde der Film zwar mit einem Jugendverbot belegt, er konnte aber sonst ohne weitere Einschränkung vorgeführt werden. Anders im Bundesland Vorarlberg, das unter derselben Verfassung lebte. Die Vorführung des Films wurde vom Landeshauptmann wegen "subversiver Tendenzen" untersagt. Otto Ender wird der Nachwelt gerne als ein Föderalist und Demokrat verkauft. Aber allein die Schaffung der austrofaschistischen 1934-er Verfassung durch Ender, welche die Beseitigung der Demokratie in Österreich und die austrofaschistische Terrorherrschaft legitimieren sollte, belegt das Gegenteil. Dafür wurde er übrigens von Dollfuß mit dem in jeder Diktatur per se arbeitslosen Posten und Bezügeprivilegium des Rechnungshofpräsidenten belohnt.


Unmittelbar nach dieser Entscheidung wurde eine gekürzte Form des "Panzerkreuzers" von der Film-Oberprüfstelle neuerlich freigegeben, diesmal auch zur Vorführung vor Jugendlichen. Mit den wieder einsetzenden Interventionen der zuvor genannten Länder erreichte man diesmal aber nur ein Jugendverbot für den Film. Man versuchte es nun mit Polizeimaßnahmen: So wies man die Polizeibehörden mit direkter Bezugnahme auf Panzerkreuzer Potemkin an, alle erforderlichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu treffen und hielt sie an, im gegebenen Fall die betroffenen Lichtspieltheater vorübergehend zu schließen. Kinobetreiber, die vorhatten den Film zu zeigen, wurden über die möglichen Folgen informiert und ganz offensichtlich unter Druck gesetzt. Zu einem endgültigen Verbot des Filmes in Deutschland kam es erst nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933.

Faszination. Der Film "Panzerkreuzer Potemkin", Eisensteins berühmtester Film, wurde 1925 hergestellt - zum 20. Jahrestag der Meuterei auf dem zaristischen Kriegsschiff vor dem Hafen von Odessa 1905 - und nach den klassischen Prinzipien der Tragödie in fünf Akte gegliedert. Eine bis dahin unbekannte Rhythmik und Dynamik des Schnitts macht den Revolutionsfilm zu einem besonders eindringlichen Werk, das die Herrschenden und Beherrschten polemisch kontrastiert und den Zuschauer über den Weg der Emotionen zu politischen Erkenntnissen führen will.
Die Faszination, die von dem Film ausging, beschreibt am besten die schizophrene Haltung des NS-Propagandaministers Goebbels zu dem Film: Einerseits ließ er den Film verbieten, andererseits war er ein euphorischer Bewunderer der eisensteinschen Filmkunst. Ja, er verlangte von seinen Regisseuren, ihm einen "deutschen Potemkin" zu drehen. Acht Wochen nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler erklärt Goebbels im Berliner Hotel Kaiserhof vor den verdutzten deutschen Filmschaffenden, denen er den Film vorführen lässt: "...Einige Filme haben einen unauslöschlichen Eindruck auf mich gemacht. Zunächst "Panzerkreuzer Potemkin". Er ist fabelhaft gemacht, er bedeutet eine filmische Kunst ohnegleichen. ..." Man beachte: Er nennt diesen Film neben drei anderen zuerst und mit dem XXXL-Superlativ "Kunst ohnegleichen". Er begründet dann das Verbot damit, dass dieser so gut gemachte Film Deutsche, die weltanschaulich nicht genügend gefestigt sind, zu Bolschewisten werden könnten. Eine Sorge, die er wohl mit dem seinerzeitigen christlichsozialen Vorarlberger Landeshauptmann Otto Ender teilte.

Links:
Die Goebbels-Rede im Kaiserhof am 28.3.1933
Free Movie: Panzerkreuzer Potemkin
Panzerkreuzer Potemkin
Sergej Eisenstein - Wer sind Sie eigentlich, Genosse? - Die antisemitischen Kampagnen gegen Künstler in der Sowjetunion
Eisenstein; Pudowkin; Alexandrow: "Manifest zum Tonfilm"
Sergej M. Eisenstein - Deutsches Filminstitut - Umfassende Biografie
Österreichische Pressestimmen zu PANZERKREUZER POTEMKIN
Potemkin
Potemkinsche Dörfer
[Vorarlbergensia] Schändliche Vorarlberger Erinnerungskultur: Dr. Otto-Ender-Studienstiftung
EISENSTEIN, Sergej Michailovich (*23.1.1898- †11.2.1948)
[Erwähnte Kalendertage in diesem Beitrag: 29. April 1926, 30. Oktober 1918, 10. April 1926, 12. Juli 1926, 27. Juni 1905]
Die Goebbels-Rede im Kaiserhof am 28.3.1933
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Eisenstein; Pudowkin; Alexandrow: "Manifest zum Tonfilm"
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[Erwähnte Kalendertage in diesem Beitrag: 29. April 1926, 30. Oktober 1918, 10. April 1926, 12. Juli 1926, 27. Juni 1905]
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