5. April 1803

Oratorium "Christus am Ölberge". Am 5. April 1803 wurde Ludwig van Beethovens einziges Oratorium "Christus am Ölberge" im Theater an der Wien uraufgeführt. Nach seinen Angaben schaffte es Beethoven, bereits erkrankt und zunehmend taub, die Komposition in einem wahren Schaffensrausch in nur vierzehn Tagen fertig zu stellen.

Einziges Oratorium. Ludwig van Beethoven hat der Oratoriengattung mit "Christus am Ölberge" nur ein einziges Werk hinterlassen, das am 5. April 1803 seine Uraufführung erlebte. Oratorium - vom Lateinischen "orare", "beten, bitten" - bezeichnet ursprünglich den Ort der Zusammmenkunft zum Gebet. Die ersten Oratorien-Aufführungen fanden im Betsaal (ital. oratorio) der Bruderschaft des Filippo Neri statt. Von daher behielt die Gattung auch ihren Namen. 1571 wurde Palestrina Leiter des Gesanges bei den Andachtsübungen im Oratorium des Philipp Neri. Aufbauend auf diese und verschiedene Vorformen und in Anlehnung an Formen der frühen Oper schuf Gaicomo Carissimi ab etwa 1640 die für die Folgezeit gültige Form. Oratorium wurde als Begriff in der Musik zur Bezeichnung für eine groß angelegte Komposition meist geistlichen Inhalts, die für Instrumente und mehrere Sänger komponiert ist und in der Regel konzertant, also ohne szenische Aufführung, Bühnenbild und Kostüme stattfindet und deshalb an die Kargheit einer Versammlung im Betsaal erinnert.



In Österreich bürgerten sich Oratorien von Italien aus um die Mitte des 17. Jahrhunderts ein und wurde durch die Gegenreformation und die betont katholische Haltung des Kaiserhofs gefördert. Mit Händels handlungsbetonten, musikdramatischen (englischen Oratorium) und Haydns mehr kontemplativen Oratorien hatte diese Gattung den Raum der Kirche endgültig verlassen und den Konzertsaal erobert. Die Bedeutung dieser Gattung ging nach 1800 allerdings aus geistesgeschichtlichen Gründen zurück.



Christus am Ölberge. In dieses Vakuum stieß Beethoven mit seinem Oratorium "Christus am Ölberge" vor. Beethovens Oratorium stellt auch ein bedeutendes musikalisches Zeitdokument dar. Es basiert auf einem im alpenländischen Raum häufiger vertonten Stoff, der Einleitung der Passion: der verängstigte Christus, der sich nach dem Abendmahl mit seinen Jüngern zum Beten in den Garten Gethsemane zurückzieht, von diesen jedoch im Stich gelassen und schließlich gefangen genommen wird. Der Geist der Revolution und der Aufklärung setzt die lineare Fortsetzung der traditionellen barocken Oratorien, wie wir sie zur Genüge kennen, aber auch inhaltlich außer Kraft: Christus ist in Beethovens Stück der leidende Held, der am Ende des Stückes mit Glorien-Pathos geehrt wird. Die Handlung ist verkürzt und rudimentär behandelt, wichtig ist das Drama und seine Auflösung, das dem Beethovenschen Werken häufig zugrunde liegenden innere Konzept: "durch das Dunkel zum Licht" folgt.



In einem wahren Schaffensrausch muss sich Beethoven im Frühjahr 1803 an die Komposition seines rund 55-minütigen Oratoriums für drei Solostimmen, Chor und Orchester begeben haben, das schon am Palmsonntag, den 5. April 1803 unter der Leitung des Komponisten im Rahmen einer Musikalischen Akademie im Theater an der Wien seine Premiere erlebte. Die Premiere fand nicht ungeteilte Zustimmung. Ein Rezensent der Allgemeinen musikalischen Zeitung vom 25.5.1803 berichtet allerdings recht verärgert über das Werk: "Noch gab Herr Beethoven eine Kantate von seiner Komposition: Christus am Oehlberg. Niemand hat den folgenden Tag begreifen können, warum Hr. B. bey dieser Musik die ersten Plätze doppelt, die gesperrten Sitze dreyfach, und jede Loge (statt 4 Fl.) mit 12 Dukaten sich bezahlen ließ."



Offenbar war der Rezensent ohne Freikarte. Üblich war damals als Gage zehn Prozent der Einnahmen der ersten zehn Vorstellungen. Beethoven musste daher an der Eintrittspreisgestaltung interessiert sein. Die Kritik betraf aber weniger das Musikwerk als das Libretto. Für eine weitere Aufführung am 27. März des darauf folgenden Jahres unterzog der Komponist das Werk jedoch einer umfangreichen Revision, indem er beispielsweise einen ganz neuen Chor (den Chor der Engel) hinzufügte; die musikalische Faktur zwischen jener Fassung von 1804 und der erst im Oktober des Jahres 1811 als op. 85 erschienenen Druckausgabe aber veränderte er kaum noch.



Schreit, denn ich bin taub ... Beethoven war bei der Schaffung des Werkes bereits erkrankt und von zunehmender Taubheit betroffen. Erst am 6. Oktober 1802 hat Beethoven sein "Heiligenstädter Testament" verfasst. Es ist an seine Brüder Karl und Johann gerichtet. Beethoven teilt ihnen darin mit, dass der beginnende Verlust seines Gehöres die Ursache für sein auffälliges Benehmen in der Öffentlichkeit sei. Die Erkrankung wurde bereits 1798 konstatiert. Das Chorwerk "Christus am Ölberge" ist also nur wenige Wochen nach einer schweren Lebenskrise Beethovens entstanden.



Welche schreckliche Erfahrung gerade für einen auf das Gehör angewiesenen Künstler der Verlust des Gehörs ist, geht aus Beethovens eigener Schilderung hervor: "Oh ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthropisch haltet oder erkläret, wie Unrecht tut ihr mir! Ihr wisst nicht die geheime Ursache von dem, was euch so scheinet. Mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit an für das zarte Gefühl des Wohlwollens ... Aber bedenket nur, dass seit 6 Jahren ein heilloser Zustand mich befallen von Jahr zu Jahr in der Hoffnung, gebessert zu werden, betrogen ... Mit einem feurigen, lebhaften Temperament geboren, selbst empfänglich für die Zerstreuung der Gesellschaft, musste ich mich früh absondern, einsam mein Leben zubringen. Wollte ich auch zuweilen mich einmal über alles das hinaussetzen, oh, wie hart wurde ich zurückgestoßen, und war es mir nicht möglich, den Menschen zu sagen: sprecht lauter, schreit, denn ich bin taub ..."


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