14. April 1783

Von der Mühe der Wahrheitssuche. Am 14. April 1783 wurde Lessings "Nathan der Weise" uraufgeführt. Toleranz erfordert sich ein Wissen über die anderen Religionen zu erwerben: "Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist oder zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen."



Zwischen Drama und Komödie. Der weise Jude Nathan in Lessings "dramatischem Gedicht" von 1779 weiß sich zu helfen: Er erzählt dem Sultan Saladin eine Geschichte, die als "Ringparabel" und als Plädoyer für Toleranz und moralisches Handeln bekannt geworden ist. In Lessings klassisch konstruiertem Fünf-Akt-Drama lösen sich die Konflikte am Schluss in eine wahre Umarmungsorgie auf. Nachdem der Christ die Jüdin heiraten will, aber nicht darf, entwirrt Lessing die Fäden mit der Enthüllung einer beispiellosen Familiengeschichte: So gut wie jeder ist mit jedem verwandt - die Großfamilie auf dem Theater will Vorbild sein für die Menschheitsfamilie der Welt. Moralisches Handeln, Vernunft, Menschlichkeit und religiöse Toleranz sind die Eckpfeiler von Lessings Aufklärungsdrama, das schon seit Jahrhunderten und gerade heute wieder seine brennende Aktualität beweist. "Nathan der Weise" ist ein "dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen", passt nicht in die herkömmliche Einteilung in Tragödie und Komödie. Er mischte diese beiden Gattungen, indem er einen ernsten Gegenstand, nämlich den Religionsstreit), der zur Katastrophe führen könnte (Tragödie) mit einem Happy End (Komödie) verband.

Schiller & Goethe. Friedrich Schiller fand das Drama "plump". Er war es, der das Stück dann auch bearbeitete und dieser Bearbeitung war es zu verdanken, dass das Stück seinerzeit auf den deutschen Bühnen überhaupt wahrgenommen wurde. Johann Wolfgang Goethe fand es wiederum "polemisch". Er selber hatte sich mit dem Thema in seinem Trauerspiel "Mahohemt" ebenfalls bereits auseinandergesetzt und entwickelte eine Neigung für den Islam. Gerade in der Zeit zwischen 1773 und 1775 arbeitet Goethe an ersten Fassungen seiner Dramen "Urfaust", "Prometheus" und "Mahomet". Handelt Lessings "Nathan der Weise" von Alternativen, von Toleranz und Vergebung, handelt Goethes "Mahomet" von Fanatismus, Tyrannei und Betrug.

Aufklärung. Dem Mittelalter galt der Islam als Prototyp des Fremden und des Feindes, indem er als Häresie, Heidentum oder Teufelswerk verstanden wurde. Vor dem Hintergrund des veränderten Menschenbildes der Aufklärung, das die Vernunftorientierung des Menschen in den Vordergrund rückte, machte das Bild auch des Fremden bestimmte Veränderungen durch. Tatsächlich bildete sich in der Aufklärung eine neue Kritik an den "Anderen" heraus. Trotzdem haben in der Epoche der Aufklärung - die ja keine des gesamten Volkes war - sich die Aufklärer in unterschiedlichen Zusammenhängen mit dem Islam beschäftigt. Ihre Haltung dem Islam gegenüber war ambivalent. Beispielsweise standen Voltaire und Kant dem Islam geradezu ablehnend gegenüber, Lessing wiederum war begeistert vom Islam. Für Voltaire und Kant war der Islam eine Religion, mit der sie Fanatismus, Irrationalität und Aberglauben assoziierten. Freilich hatten hier die Religionskritiker weder ausreichende Kenntnisse des Islam als auch einen vertretungslosen Gegner. Dass der Islam in der Toleranzdebatte des 18. Jahrhunderts überhaupt eine Rolle gespielt hat, ist vor allem Lessings Verdienst: Vor Lessing habe man, so schreibt Moses Mendelssohn an "Heiden, Juden, Mahometaner und Anhänger der natürlichen Religion ... entweder gar nicht oder höchstens in der Absicht gedacht, um die Gründe für die Toleranz problematischer zu machen." Die Toleranzthematik gehört zu den meistbehandelten Aspekten des Lessingschen Werks, seine Auseinandersetzung mit dem Islam blieb allerdings weitgehend unberücksichtigt.

In Lessings Texten ist die Toleranzforderung, die er erhob (etwa in den Lustspielen "Der Freigeist" und "Die Juden" sowie die "Rettung des Hier. Cardanus", in der der Rang- und Wettstreit der Religionen im Vordergrund steht), von dem Bemühen begleitet, sich ein konkretes Wissen über die anderen Religionen zu erwerben: "Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist oder zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit bestehet. Der Besitz macht ruhig, träge, stolz."

So interessierte sich Lessing zeitlebens auch für den Islam, von dem damals noch wenig bekannt ist. Er übersetzte die Werke, die über die arabische Welt informierten: "Des Abts von Marigny Geschichte der Araber unter der Regierung der Califen" (1753; franz. 1750) und Voltaires Aufsätze über Mohammed und die Geschichte der Kreuzzüge; den letzteren hatte er eigens aus dem "Mercure de France" herausgesucht. Primär ist Lessing der Tradition der Toleranzforderung in den drei Buchreligionen Judentum, Islam und Christentum nachgegangenen, mit geradezu terminologischer Exaktheit spiegeln sich seine Funde und Ergebnisse in seinem dramatischen Gedicht "Nathan der Weise". Im Drama "Nathan der Weise" spricht Lessing ein in der Aufklärung zentrales Thema an, nämlich den Gedanken der Toleranz und Wahrhaftigkeit der Religionen. Geradezu vorbildlich aufklärerisch ist diese Antwort des Pastorensohns auf die Streitfrage, welche der drei Religionen - Judentum, Christentum, Islam - Gott wohlgefälliger sei: alle - oder keine.



Als Saladin, der Moslem, Nathan dem Weisen, der Jude ist, die Frage stellt, welche der drei Religionen (Christentum, Judentum, Islam) die beste sei, antwortet dieser mit der berühmten Ringparabel: Ein Mann hatte einen Ring, der die Gabe hatte "seinen Träger vor Gott und den Menschen angenehm zu machen." Als es nun darum ging, diesen Ring zu vererben, wie das Tradition war, hatte der Mann ein Problem: Er hatte nicht einen sondern drei Söhne. Um keinen der Söhne zu benachteiligen, lässt der Vater zwei Ringe anfertigen, die völlig dem Original gleichen und dann verteilt er die Ringe. Nach dem Tod des Vaters entdecken die Brüder die Schelmerei des Vaters und ein Streit bricht aus. Die Streitenden gehen vor Gericht. Der Richter, ein weiser Mann, gibt den Brüdern folgenden Rat:

Es strebe jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag
Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
Mit innigster Ergebenheit in Gott,
Zu Hülf! Und wenn sich dann der Steine Kraft
Bei euern Kindes- Kindeskindern äußern:
So lad' ich über tausend tausend Jahre,
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen,
Als ich; und sprechen.

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