15. April 1971

Friederike Mayröcker + Ernst Jandl

Laut und Luise auf dem Heldenplatz. Am 15. April 1971 sendete der WDR Ernst Jandls und Friederike Mayröckers Hörspiel "Spaltungen" und machte deren Hörspiele zum Gegenstand theoretischer Überlegungen. Ernst Jandl hatte mit seinen Lautgedichten bereits 1966 ("Laut und Luise") für Aufregung gesorgt. Ein Entrüstungssturm bricht los.

Spaltungen. Das Hörstück Spaltungen ist bereits die vierte Gemeinschaftsarbeit der beiden Dichter Ernst Jandl und Friederike Mayröcker: Charakteristisch ist die äußerste Reduktion des sprachlichen Materials, oft bis auf rein Lautliches. Der Sprecher ist zugleich glücklich und traurig; die beiden Wörter erklingen, von derselben Stimme gesprochen, im selben Moment; mit dem Mitteln der Stereotechnik werden sie jedoch im Raum auf Distanz gehalten. James Joyce prägte in seinem Finnegans Wake für diesen gespalteten Zustand das Wort "laughtears". Thema des Stückes ist die Stellung des einzelnen Menschen zwischen Extremen: Licht und Dunkel, Wärme und Kälte, Mut und Angst, Glück und Trauer, Leben und Tod. "Spaltungen" spielt mit den Effekten, die entstehen, wenn unsere Sprache auf Substantiv-Aussagesätze reduziert wird. Die Anordnung wird von musikalischen Prinzipien bestimmt: Rhythmus und Tonstärke, Solostimme und Chor, Wiederholung und Variationen. Einzelne abgespaltene Worte bekommen eine neue Bedeutung, ihr Sinn provoziert einen Gegensinn und damit weitere Variationen. So wird die Person, das "Ich" der 'Spaltungen' allmählich infrage gestellt durch seine Verwandlung zum "n/ich/t" oder in der Variation des Chores zu "n/ach/t". Ernst Jandl: "Spaltungen ist ein nicht religiöses Mysterienspiel, ausgeführt mit den Mitteln der konkreten Poesie. Thema des Stückes ist die Stellung des einzelnen Menschen zwischen Extremen: Licht und Dunkel, Wärme und Kälte, Mut und Angst, Glück und Trauer, Leben und Tod".

Neues Hörspiel. Ernst Jandl und Friederike Mayröcker sind die Vorreiter des neuen Hörspiels, wobei sich ihre Definition dafür vordergründig banal anhört: "Das Hörspiel ist ein akustischer Ablauf, der sich von Musik dadurch unterscheidet, dass sein Material hauptsächlich aus gesprochener Sprache besteht; ohne eine Übereinkunft dieser Art könnte das Wort "Hörspiel" auch dasselbe bedeuten wie das Wort "Musik". Weiter wird vorausgesetzt, dass die Wiedergabe durch den Rundfunk erfolgt; sonst könnten Leute zusammenkommen, das Zimmer abdunkeln oder die Augen schließen und mitsammen ein 'Hörspiel' spielen." (Anmerkungen zum Hörspiel. "hörspiel" ist ein doppelter Imperativ.) 1969 formuliert Friederike Mayröcker zum Hörspiel: "Was ich vom Hörspiel fordere, ist: es muss akustisch befriedigen, faszinieren, reizen, d.h. der akustische Vorgang muss beim Hörer eine ganz bestimmte Reaktion hervorrufen, etwas, das in der Nähe musikalischen Genusses liegt, aber statt von Tönen von Worten und Geräuschen ausgelöst wird."

Am 14. November 1968 wurde "Fünf Mann Menschen" im Zweiten Programm des Südwestfunks "urgesendet". Es war das erste von Ernst Jandl und Friederike Mayröcker gemeinsam produzierte Hörspiel. Es sollte das erste Werk des "Neuen Hörspiels" sein, das zu öffentlicher Anerkennung gelangte: Die beiden Autoren erhielten am 22. April 1969 den Hörspielpreis der Kriegsblinden für das Jahr 1968. Damit war die renommierte Auszeichnung zum ersten Mal an ein experimentelles Stereo-Hörspiel vergeben worden, ein nur 14 Minuten langes "Kurzhörspiel", das sich in vielfältiger Weise von den Stücken der Autoren unterschied, die in den Jahren zuvor geehrt worden waren. Dieser Entscheidung kam programmatische Bedeutung zu: Es war die offizielle Anerkennung des "Neuen Hörspiels", dessen Erscheinungsformen zögernd in experimentellen Programmblöcken auftauchten. Die Jury förderte mit dieser Entscheidung die Tendenz des Hörspiels zum Experiment mit Sprache, Sprechweisen, Form und Stereophonie - "Fünf Mann Menschen" war das erste in voller Länge stereophon produzierte Werk und das erste Werk von nur fünfzehn Minuten Länge, das mit dem angesehenen Preis ausgezeichnet wurde.

In der Begründung zur Entscheidung für das Hörspiel der beiden österreichischen Autoren - sie erfolgte mit 17 von 18 Jury-Stimmen erstaunlich eindeutig - heißt es: "Ernst Jandl und Friederike Mayröcker, die als Repräsentanten experimenteller Lyrik bekannt geworden sind, haben zusammen mit dem Regisseur Peter Michel Ladiges zum ersten Male im Hörspiel die Möglichkeiten konkreter Poesie beispielhaft eingesetzt. Sie zeigen exemplarische Sprach- und Handlungsvorgänge, in denen der zur Norm programmierte menschliche Lebenslauf nicht abgebildet, sondern evoziert wird. Dabei nutzen und meistern sie die Möglichkeiten der Stereophonie. Die Sprache ist für die Autoren Material, mit dem sie spielen und zugleich eine unmissverständliche Mitteilung machen, die unsere Zeit ebenso betrifft wie trifft." Und der Mediendienst "Funk-Korrespondenz" formulierte dazu am 3. April 1969: "Die Auszeichnung von "Fünf Mann Menschen" verdiente einiges Aufsehen. Es wird hier im richtigen Moment der Durchbruch einer Art von Hörspielen markiert, die das Zuhören auf eine neue Art reizvoll macht ... Dieses Viertelstundenspiel ist amüsant. Es hat etwas von dem Appeal und von der Leichtigkeit der Beat-Generation. Pointen ergeben sich aus listig verdrehten Sprachklischees, es herrscht der Pop." Freilich ist das "freie Hörspiel" wie Jandl seine neue Hörspieltechnik bezeichnet wissen wollte, auch mit technischen Neuerungen zu sehen: Die Arbeit an den Hörspielen "Fünf Mann Menschen" und "Der Gigant" begannen Jandl und Mayröcker nämlich mit dem Plan, ein neues technisches Verfahren zu nutzen: die Stereophonie.

Laut und Luise. Erst 1966 war der Band "Laut und Luise" im Schweizer Walter Verlag erschienen. Ein Entrüstungssturm bricht los. Der Verleger des Buchs muss daraufhin mit Jandl den Verlag verlassen. Gerade diese Gedichte werden jedoch den Ruhm des Avantgardisten Jandl begründen helfen. Mit diesem Band änderte sich die Geschichte der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, und die "experimentelle" Literatur trat in eine neue Phase, die Jandl nun ganz entschieden mitgestaltete. "Laut und Luise" war übrigens ein Denkmal, das er seiner Mutter setzte. Seine Mutter, eine ausgebildete Lehrerin, dichtete selber, verstarb jedoch, als Jandl gerade erst fünfzehn war.



wien: heldenplatz

der glanze heldenplatz zirka
versaggerte in maschenhaftem männchenmeere
drunter auch frauen die ans maskelknie
zu heften heftig sich versuchten, hoffensdick
und brüllzten wesentlich.

verwogener stirnscheitelunterschwang
nach nöten nördlich, kechelte
mit zu-nummernder aufs bluten feilzer, stimme
hinsensend sämmertliche eigenwäscher.

pirsch!
döppelte der gottelbock von Sa-Atz zu Sa-Atz
mit hünig sprenkem stimmstummel
balzerig würmelte es im männechensee
und den weibern ward so pfingstig ums heil
zumahn: wenn ein knie-ender sie hirschelte.

Das Gedicht "Wien: Heldenplatz" von 1962 von Ernst Jandl ist eine Gedicht, das zeigt, dass "Lautgedichte" nicht nur ein Spielen mit Lauten ist, wie es von manchen Epigonen gerne gesehen würde. Wie könnte man diese hässliche Kundgebung des 15. Märzes 1938 auf dem Wiener Heldenplatz besser wiedergeben als in eben diesem "hässlichen" Gedicht?

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