16. April 1876

Bilderhandel ist organisierter Diebstahl, soll Vincent van Gogh gesagt haben, worauf ihn sein Dienstgeber, ein international tätiger Galerist und Kunsthändler, prompt vor die Tür setzte. Er beginnt darauf am 16. April 1876 als Hilfslehrer in einem englischen Schulheim. Dort schenkte er seine Aufmerksamkeit vor allem der Bibel.

Diebstahl. Es ist eine der vielen Geschichten im kurzen Leben des Vincent van Gogh. Der Satz erinnert an Pierre Joseph Proudhon, der 1840 formuliert hatte: "Eigentum ist Diebstahl" (La propriete, c'est le vol). Aber dies konnte Van Gogh kaum so gemeint haben, war doch sein Verwandtenkreis ebenfalls im Kunsthandel tätig, wie auch sein über alles geliebter Bruder Theo. Aber es wird auch eine für seine Zukunft und vor allem für die Nachwelt entscheidende Aussage. Sie leitet seine Entwicklung weg vom Kunsthändler und hin zur Malerkarriere ein.



Doch zuerst ist alles anders. Er ist an sich den Bildern immer schon nahe gewesen. Als 16-jähriger bekommt Vincent van Gogh 1869 eine Ausbildung und Stelle in der Pariser Bildergalerie Goupil & Cie, einer weltweiten Galeriekette in Den Haag. 1873 arbeitet er in der Galerie in Brüssel und wird noch im selben Jahr nach London versetzt. Aus dieser Zeit wird eine unglückliche Liebesgeschichte kolportiert und in diese viel hineingeheimnist. Jedenfalls wechseln seine Aufenthalte in Paris und London bis es zu dem erwähnten Rauswurf im Jahre 1876 kommt. Seine Familie hatte schon seit langem Beziehungen mit Kunstkreisen - seine beiden Onkel Cornelis und Vincent waren Kunsthändler. Sein jüngerer Bruder, Theo, arbeitete Zeit seines Lebens als Kunsthändler und übte einen entscheidenden Einfluss auf Vincents Künstlerkarriere aus.

Missionar. Vorerst sollte ihn der berufliche Weg seines Vaters beeinflussen: Van Gogh war der Sohn des Theodorus van Gogh (1822 - 85), eines Pastors der Reformierten Kirche Hollands. Van Gogh verließ die Kunsthandlung Goupil Ende März 1876 und ging als Hilfslehrer nach England. Dort schenkte er seine Aufmerksamkeit nicht nur vielen Ausstellungen sondern vor allem der Bibel. Er sucht die religiöse Unterweisung und wie es scheint, überlegt er sich ernsthaft den Pfarrersberuf zu ergreifen. Er organisiert Gebetsversammlungen in der Pfarrgemeinde von Turnham Green und hält am 29. Oktober 1876 die erste Sonntagspredigt.



Die Rede ist seine Sache aber nicht, jedenfalls wird berichtet, dass seine Reden weder begeisterten noch sonderlich erfolgreich waren. Trotzdem scheint er an seiner Absicht festzuhalten. Als er Ende 1876 nach Holland zurückkehrt, verschafft ihm sein Onkel zwar einen Job, doch die Theologie lässt ihn nicht so schnell los. Er will das "Handwerk des Christentums" erlernen, einen Abschluss eines theologischen Studiums erreichen. Es misslingt und er fragt: "Muss man so viel wissen um Gottes Wahrheit zu vermitteln?" Doch auch das Ende des Theologiestudiums bedeutet noch keine Umorientierung. Er wird im Sommer 1878 in eine Evangelistenschule aufgenommen, die Missionare zur Evangelisation ausbildet. Er findet aber auch hier keinen Sinn in umfassenden Studien, sondern will evangelisieren. Nach der Probezeit wird er nicht einmal ernannt. Aber er lässt noch immer nicht ab von seiner "Berufung".

Schließlich willigt man ein, ihn dort missionieren zu lassen, wo es am schwersten ist, in einem belgischen Grubenbezirk, weitgehend ohne Geld und unter ärmlichsten Verhältnissen. Das Los der Grubenarbeiter scheint ihn berührt zu haben, er teilt das Wenige. Die protestantische Glaubensgemeinschaft teilt diese "Selbstaufopferung" und praktische Gläubigkeit von Vincent van Gogh nicht. Sein Missionierungsauftrag wird widerrufen. Vincent ist enttäuscht von dem Materialismus der Protestanten, sieht darin ein Pharisäertum. Er weigert sich, vorerst die Familien der Kohlearbeiter zu verlassen, bleibt bei ihnen, lebt unter äußerst ärmlichen Verhältnissen. Er zeichnet die Familien der Minenarbeiter, ihre Lebensbedingungen und hier erst setzt jener Teil seines Lebens ein, der ihn für die Nachwelt so wertvoll und bedeutend macht. Vier Jahre dauert diese "religiöse Episode", die ihn in den Beruf seines Vaters hätte führen können. Er schien dafür nicht das Zauberwort zu kennen, das man heute in der Sozialarbeit so wichtig hält, die "professionelle Distanz" zu der Not und dem Schicksal der Menschen, und es wird sich auch in seiner künstlerischen Laufbahn zeigen, dass er bei aller Einsamkeit die Gemeinschaft sucht. Aber nun erfolgt ein entscheidender Schritt. Von seinem Lieblingsbruder Theo finanziell unterstützt, beginnt er sich ernsthafter mit der Malerei auseinander zu setzen und studiert an der Kunstakademie in Brüssel ein halbes Jahr anatomisches und perspektivisches Zeichnen. Er verlässt Brüssel.

Maler. Nach langen Jahren des Umherirrens als Student, Prediger und Kunsthandelsangestellter wird die Malerei für Vincent van Gogh die Möglichkeit, seine Verletztheit und seine Lebenslust, seine Kompromisslosigkeit und die Unmittelbarkeit seiner Empfindungen auszudrücken. Es ist, als ob die Gesellschaft ihn derart an den Rand gedrückt habe, dass die Kunst zur Religion und zum Ausweg wird. Dabei suchte er auch dort die Gesellschaft, aus der er weggedrängt wird. Er - der als Kunsthandelsangestellter der Firma Goupil & Sohn in Den Haag, London und Paris mit Reproduktionen alter Meister wie Vertrauten lebte - zeichnete und kopierte, was ihm gut erschien, die Bilder des Franzosen Millet etwa, auch Rembrandt und japanische Farbholzschnitte.

Doch auch dort will man ihn nicht. Mit unerhörter Dynamik begibt er sich in der Folge in seinen Bildern auf die Suche nach sich selbst. Sein Leben kennt bittere Einsamkeit, barbarische Armut, verschwenderische Hingabe und intensives Leiden. Es ist der Beginn seiner letzten zehn Lebensjahre, die uns mit vielen Details bekannt sind, in denen er fast sein ganzes heute erhaltenes künstlerisches Werk schafft. Er legt damit den Grundstein zur Moderne.

Am 29. Juli 1890 erliegt er den Folgen seines Selbstmordversuches. Und hier scheitert ein letztes Mal seine praktizierte Religiosität und christliches Engagement: Der katholische Pfarrer von Auvers verweigert dem Selbstmörder den Leichenwagen der Gemeinde für das Begräbnis. Schließlich gestattete die Nachbargemeinde das Begräbnis, und die Beerdigung fand am 30. Juli 1890 statt.

Links:
Vincent Van Gogh (*30.3.1853-†29.7.1890)
Vincent van Gogh: Das Gesamtwerk im Web
Vincent Willem van Gogh, Diashow

[Erwähnte Kalendertage in diesem Beitrag: 30. Juli 1890, 29. Juli 1890 30. März 1853, 16.April 1876, 29. Oktober 1876]

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