25. April 1848

Nicht Magd mit den Knechten: Es war schon die Nacht des zweiten Tages in Baden, als am 25. April 1848 die "Deutsche Demokratische Legion" unter Führung Georg Herweghs und seiner Frau Emma in der Wirtsstube des "Hirschen" des Gebirgsdorfes Wieden einen geordneten Rückzug in die Schweiz beschließen. Emma Herwegh hatte eine Brandrede gehalten.

Deutsche demokratische Legion. Kriegshelden waren sie keine und wollten auch keine sein. Im Rückblick erscheint die Aktion mit eigenen Uniformen allerdings kitschig und reichlich naiv. Aber hinterher weiß man es ja immer besser und den Unifrom-Tick hatten auch schon erfolgreichere Revolutionäre, so etwa Trotzki.

Im April 1848 führten die Herweghs eine zunächst an die 1000 Mann starke mit Spendenmitteln bewaffnete und uniformierte "Deutsche demokratische Legion", die sich aus Kreisen deutscher Handwerker und Arbeiter in Paris gebildet hatte. Mehrere Versuche, den Rhein zu überqueren, scheiterten, nicht zuletzt, weil es auf der deutschen Seite keine Unterstützung für die Demokratie gab. Erst der persönliche Einsatz Emma Herweghs, die als glänzende Reiterin allein den Rhein überquerte und die Vereinigung der Legion mit Heckers Einheit vereinbarte, eröffnete neue Möglichkeiten. Der Rheinübergang gelang mit der auf 650 Mann und eine Frau zusammengeschmolzenen Truppe am 24. April. Erst danach erfuhr man von der Niederlage des Freiheitskämpfers Heckers bei Kandern. Die Legionäre zogen sich nun nach Süden zurück, um den Zusammenschluss mit Struve und Sigel zu erreichen, nur um kurz darauf zu erfahren, dass auch diese Truppe geschlagen war. Emma Herwegh soll die erschöpften Legionäre noch in einer Brandrede zur geordneten Flucht in die Schweiz in der Nacht mobilisiert haben. Die Legion wollte sich daraufhin auf Schweizer Gebiet zurückziehen, wurde aber zuvor noch bei Dossenbach von Württembergischen Truppen gestellt und es kam zu einem Scharmützel. Herweghs gelang die Flucht in die Schweiz.

Emma Herwegh. (geboren 1817 in Berlin, gestorben 1904 in Paris) Sie war die Tochter eines reichen Berliner Seidenwarenhändlers und Hoflieferanten, sprachlich und sportlich gut ausgebildet und resolut mit eigenständiger, entschieden republikanischer Gesinnung. Sie war durch ein Gedicht für den zunächst anonymen Autor entflammt und machte in Berlin die Bekanntschaft Georg Herweghs, verlobte sich mit ihm und folgte ihm in die Schweiz. Obwohl in den besten Berliner Kreisen zuhause, wohlbegütert und hochbegabt, engagierte sie sich für demokratische Ideale, nahm dafür Not und Exil in Kauf. Sie lebte und dachte selbstbewusst, europäisch und revolutionär. Sie ritt wie der Teufel, schoss mit Pistolen, schwamm bei Mondschein in Flüssen und Seen, turnte, rauchte. Sie besuchte die rapide wachsenden Elendsviertel Berlins und betreute Polens Freiheitskämpfer im preußischen Gefängnis. In ihren eigenen Kreisen fühlte sie sich jedoch kaum noch zu Hause. In ihren Tagebüchern lässt sie ihrem Hohn darüber freien Lauf: "Beamtenseelen", "Philister", "liberales Pack", "fahle Brut", "Hofschranzen", "Speichellecker".



"Einfältige Bescheidenheit." Sie strotzte nur so von Selbstbewusstsein: "Nimm, was ich Dir schreibe, nicht für eine Superbescheidenheit, ich bin nie bescheiden gewesen und halte diese Eigenschaft für ebenso einfältig als die entgegengesetzte" schrieb sie am 10. Februar 1843 in "Mein lieber Georg!". Als einzige weibliche Kämpferin der "Deutschen demokratischen Legion" trug Emma Herweg Männerkleidung, schwarze Tuchhosen, Ledergürtel und einen breitkrempigen Hut mit schwarz-rot-goldener Kokarde. Anfang März 1843 hatte das Paar in der Schweiz geheiratet, in Paris fanden sie Asyl. Eine zunächst geplante Wohngemeinschaft mit Jenny und Karl Marx und dem Publizisten Arnold Ruge und dessen Frau scheiterte, doch Emmas Mitgift ermöglichte eine eigene Wohnung. Bald schon blühte der Salon, Turgenjew, Heine, Bakunin diskutierten hier, Victor Hugo, George Sand und viele andere Politiker und Künstler.



Georg Herwegh. (* 31. Mai 1817 in Stuttgart; † 7. April 1875 in Baden-Baden) Er stammte aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater war Koch. Wegen seiner hohen Begabung gefördert, konnte er eine höhere Schule besuchen und am Tübinger Stift Theologie studieren. Er brach das Studium ab und reüssierte als Übersetzer des französischen Dichters und späteren Außenministers der II. Republik, Alphonse de Lamartine. Berühmt wurde er als Verfasser von Gedichten mit politischer Tendenz. Nach der Beleidigung eines Württembergischen Offiziers musste er in die Schweiz fliehen. Als Redakteur einer von Julius Fröbel herausgegebenen Zeitung verbreitete sich Georg Herweghs dichterischer Ruhm in Deutschland. Heinrich Heine nannte ihn die "eherne Lerche", allerdings nicht ohne Kritik an einem gewissen Realitätsverlust durch Autosuggestion:

Heinrich Heine:

An Georg Herwegh

Herwegh, du eiserne Lerche,
Mit klirrendem Jubel steigst du empor
Zum heilgen Sonnenlichte!
Ward wirklich der Winter zu nichte?
Steht wirklich Deutschland im Frühlingsflor?

Herwegh, du eiserne Lerche,
Weil du so himmelhoch dich schwingst,
Hast du die Erde aus dem Gesichte
Verloren - Nur in deinem Gedichte
Lebt jener Lenz den du besingst.


Arbeiterbewegung. Seit den 1860er Jahren unterstützte er zunächst den von Ferdinand Lassalle gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein und ab 1869 den linken Flügel der deutschen Arbeiterbewegung, die von Bebel und Liebknecht gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei. Als am 23. Mai 1863 der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) gegründet und Ferdinand Lasalle zum ersten Präsidenten gewählt wurde, bat er den Dichter Georg Herwegh um ein "kämpferisches und zugkräftiges" Bundeslied. Es ist das erste Lied der politisch organisierten deutschen Arbeiterbewegung! Die Worte Herweghs, des Dichters der 1848er Revolution, wurden mehrere Male vertont, unter anderem auch von dem bekannten Dirigenten Hans von Bülow 1863, der die Melodie unter dem Pseudonym "W. Solinger" veröffentlichte. Seine Melodie konnte sich jedoch nie durchsetzen. Meistens wurde es nach der Melodie von "Schleswig Holstein stammverwandt" gesungen.



Bundeslied

"Bet' und arbeit!" ruft die Welt.
Bete kurz, denn Zeit ist Geld!
An die Türe pocht die Not,
Bete kurz, denn Zeit ist Brot

Und du ackerst, und du säst,
Und du nietest und du nähst.
Und du hämmerst, und du spinnst,
Sag, o Volk, was du gewinnst?

Wirkst am Webstuhl Tag und Nacht,
Schürfst im Erz- und Kohlenschacht,
Füllst des Überflusses Horn
Füllst es hoch mit Wein und Korn.

Doch wo ist dein Mahl bereit?
Doch wo ist dein Feierkleid?
Doch wo ist dein warmer Herd?
Doch wo ist dein scharfes Schwert?

Alles ist dein Werk! O sprich,
Alles, aber nichts für dich!
Und von allem nur allein,
Die du schmiedest, die Kette dein!

Kette, die den Leib umstrickt,
Die dem Geist die Flügel knickt,
Die am Fuß des Kindes schon
klirrt – o Volk, das ist dein Lohn.

Was ihr hebt ans Sonnenlicht,
Schätze sind es für den Wicht;
Was ihr webt, es ist der Fluch
für euch selbst – ins bunte Tuch.

Was ihr baut, kein schützend Dach
hat’s für euch und kein Gemach;
was ihr kleidet und beschuht,
tritt auf euch voll Übermut.

Menschenbienen, die Natur,
gab sie euch den Honig nur?
Seht die Drohnen um euch her!
Habt ihr keinen Stachel mehr?

Mann der Arbeit, aufgewacht,
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still,
Wenn dein starker Arm es will!

Deiner Dränger Schaar erblaßt,
Wenn du, müde deiner Last,
in die Ecke lehnst den Pflug,
Wenn du rufst: Es ist genug!

Brecht das Doppeljoch entzwei!
Brecht die Not der Sklaverei!
Brecht die Sklaverei der Not!
Brot ist Freiheit, Freiheit Brot!



Die Schweiz: Die freie republikanische Erde. Bereits im Jahre 1838 war Georg Herwegh in die Schweiz emigriert. Er lebte zunächst in Zürich. Im Jahre 1841 machte ihn sein Gedichtband "Gedichte eines Lebendigen" im ganzen deutschsprachigen Raum bekannt. 1843 erhielten er und Emma Herwegh-Siegmund in der Gemeinde Augst (Baselland) das Bürgerrecht. Sie wohnten jedoch nie in Augst, sondern in Paris, Genf und wiederum in Zürich. Obwohl Emma Herwegh enterbt worden war, gelang es ihr, inzwischen im Zürcher Exil einen großen Salon zu führen. Gottfried Keller, Richard Wagner, Gottfried Semper, Ferdinand Lassalle, Gräfin Sophie von Hatzfeld und viele andere waren ihre Gäste. Vor allem aber Emigranten aus ganz Europa, darunter viele Italiener wie Felice Orsini, Giuseppe Mazzini, Vittorio Imbriani, Piero Cironi. Bei den Herweghs liefen die Fäden zusammen. Emma übersetzte Giuseppe Garibaldis Schriften, warb deutsche Freiheitskämpfer für sein Heer, gab ihnen Italienischunterricht, sammelte Spenden und schmiedete mit Ferdinand Lassalle und dem Guerillatechnikexperten Wilhelm Rüstow Pläne für die Erstürmung des Vatikan.

1866 zog die Familie Herwegh nach Baden-Baden. Dort starb Georg Herwegh am 7. April 1875 im Alter von 58 Jahren. In der Schweizer Stadt Liestal bei Basel liegt er - wie es sein Wunsch war - "in freier republikanischer Erde" begraben. Als Emma Herwegh 1904 starb, wurde auch sie dort bestattet. Noch im selben Jahre erfolgte in Liestal die Einweihung eines monumentalen Herwegh-Denkmals. Schweizer Arbeitervereine und Arbeiterchöre huldigten dabei dem "Dichter der Freiheit".

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