26. April 1840


Der Schweizer Gottfried Keller über die Deutschtümelei. Am 26. April 1840 reiste Gottfried Keller zur Ausbildung als Maler nach München. Daraus wird allerdings nicht viel. Von dort ist aber sein Engagement gegen "Deutschtümelei" überliefert: Keller erklärt die Schweizer Einwanderer für ebenso gute Schweizer wie jene, die schon bei Sempach für die Schweiz gekämpft hatten.

Malerausbildung in München. Aber es wurde wohl nichts daraus. Das "Maler-Handwerk" erfreute ihn auch nicht sonderlich und in München ging er offenbar nicht allzu interessiert seiner Ausbildung nach. Wie der Held seines Romans der "Grüne Heinrich" schlägt er sich als mittelmäßiger Landschaftsmaler durchs Leben und scheitert. Auch Keller verstand sich als Gescheiterter, der nach Jahren, in denen er nur eine einzige Sehnsucht kannte, nämlich Maler zu werden und sich als solcher in München zu etablieren, mit leeren Händen zurückkehrt. München war damals ein Zentrum für Schweizer Künstler. Zwischen 1820 und 1900 hielten sich mehr Schweizer Künstler in München auf als in jeder Deutschschweizer Stadt: Insgesamt rund zweihundert, auch wenn von dem meisten heute nur noch Spezialisten deren Namen kennen. Keller kehrte 1842 nach Zürich zurück und wandte sich der Dichtkunst zu, unter dem Einfluss zahlreicher deutscher Emigranten (Herwegh, Freiligrath) insbesondere der politischen Lyrik. Zwei Jahre nach Erscheinen seiner ersten Gedichtsammlung (1846) erhielt er von Zürich ein Stipendium zu einem Studium in Deutschland.



Wochenblatt-Redakteur. In den Biografien wird schon vom ersten Jahr des Studienaufenthaltes vermerkt, dass er Redakteur des Wochenblattes der Schweizergesellschaft geworden wäre und tausende Referateschreiber füllen auch diesen Versatztext in ihre Haus- und Schulaufgaben und interpretieren eine journalistische Tätigkeit, den Beginn seiner schriftstellerischen Arbeit hinein. Was war das für ein Wochenblatt? Die Wirklichkeit war die: Im Münchner Wirtshaus "Wagnerbräu" traf sich einmal wöchentlich die Schweizer Studentenverbindung zur Kneipe. Dort wurde auch das "Schweizer Wochenblatt" verlesen. Einer der Hauptredakteure dürfte wohl Gottfried Keller gewesen sein. Eine Drucksache war es wohl nicht, denn es bestand aus einem einzigen Exemplar, wohl einem handschriftlichen. Überliefert sind ohnedies nur jene Beiträge, die Keller verfasst und in seine frühen Studienbücher eingetragen hat.



Sempach. Diese Zeit des bereits gärenden Vormärzes hatte auch allerlei Nationalitätsgeschwafel zum Inhalt. Während Keller selber mit der Revolution liebäugelt, auch zweimal mit den liberalen Freischarzügen (1844 und 1845) gegen das jesuitische Luzern zieht, hat er nichts mit der Deutschtümelei auf dem Hut. Dagegen sprach sich Gottfried Keller in einem solchen - von ihm verlesenen - Wochenblatt (März 1841) mit aller Deutlichkeit aus, die man heute nicht nur manchem "Völkischen" ans Herz legen könnte sondern auch in der Migrationsdebatte neuerlich einbringen darf. Keller erklärt die Schweizer Einwanderer für ebenso gute Schweizer wie jene, die schon bei Sempach für die Schweiz gekämpft hatten:

"Die Deutschen glauben uns dadurch hauptsächlich zum Schweigen zu bringen dass sie behaupten, das schweizerische Volk gehöre seiner Abstammung nach gar nicht zusammen, sondern die deutsche Schweiz gehöre eigentlich zu Deutschland, die französische zu Frankreich u. s. f. kurz jeder Theil unsres Landes gehöre zu dem seiner Abstammung entsprechenden Theil der angränzenden Staaten und das ist vorsätzliche Nichtbeachtung unseres Nationalcharakters.

Denn, zugegeben dass wir den nähmlichen Völkerstämmen entsprossen sind, wie unsere Nachbaren, so thut das durchaus nichts zur Sache. Der Geist der Generationen verändert sich unendlich u wenn wir jener Ansicht u der Bibel folgen müssten, so wäre die ganze Menschheit nur eine Nation u müsste folglich nur einen einzigen Staat ausmachen. Die jetzige Bevölkerung Englands ist entstanden aus Britaniern, Römern, Angelsachsen, Normannen, Celten u. s. f. die alle einander wechselweise besiegt, verdrängt od unterdrükt haben u doch ist die englische Nation jetzt eine Ganze, Untheilbare, originell in ihrem Charakter u weder mit den jetzigen Franzosen, noch Deutschen, noch irgendeinem Volke ähnlich. So ists auch mit den Schweizern gegangen.

Die Urkantone waren von jeher frei in ihren Bergen, man weiß von keinem Herren, der sie gesetzlich jemahls regiert hätte. Albrecht suchte sie mit Gewalt zu zwingen, | und von da an schufen sie sich ihr eigenes Geschick, u an dieses knüpfte sich nach u nach, bis auf unsere Zeiten, die ganze gegenwärtige Schweiz theils aus innerem Drange u Neigung, theils aus äußerlichem Bedürfniß an; u durch die Verfassungen, die sie sich selbst gaben, sind sie eben so verschieden worden von denen mit denen sie gemeinschaftliche Abstammung hatten.

Der Nationalcharakter der Schweizer besteht nicht in den ältesten Ahnen, noch in der Lage des Landes noch sonst in irgend etwas Materiellem; sondern er besteht in ihrer Liebe zur Freiheit, zur Unabhängigkeit, er besteht in ihrer außerordentlichen Anhänglichkeit an das kleine, aber schöne u theure Vaterland, er besteht in ihrem Heimweh, das sie in fremden, wenn auch den schönsten Ländern, befällt.

Wenn ein Ausländer die schweizerische Staatseinrichtung liebt, wenn er sich glücklicher fühlt bei uns, als in einem monarchischen Staate, wenn er in unsre Sitten u Gebräuche freudig eingeht und überhaupt sich einbürgert, so ist er ein so guter Schweizer, als einer, dessen Väter schon bei Sempach gekämpft haben."

Der Aufenthalt zur Erlernung der Malerei in München scheint den politischen Keller allerdings befördert zu haben. Jedenfalls hatte er sich ab 1843 der politischen Lyrik zugewandt. 1845 erscheinen bereits seine "Lieder eines Autodidakten", ganz unter dem Eindruck von Georg Herweghs "Gedichte eines Lebendigen" und auch in dem gleichen vom deutschen Bundestag verbotenen Exilverlag.

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