Der Schweizer Gottfried Keller über die Deutschtümelei. Am 26. April 1840 reiste Gottfried Keller zur Ausbildung als Maler nach München. Daraus wird allerdings nicht viel. Von dort ist aber sein Engagement gegen "Deutschtümelei" überliefert: Keller erklärt die Schweizer Einwanderer für ebenso gute Schweizer wie jene, die schon bei Sempach für die Schweiz gekämpft hatten.


Sempach. Diese Zeit des bereits gärenden Vormärzes hatte auch allerlei Nationalitätsgeschwafel zum Inhalt. Während Keller selber mit der Revolution liebäugelt, auch zweimal mit den liberalen Freischarzügen (1844 und 1845) gegen das jesuitische Luzern zieht, hat er nichts mit der Deutschtümelei auf dem Hut. Dagegen sprach sich Gottfried Keller in einem solchen - von ihm verlesenen - Wochenblatt (März 1841) mit aller Deutlichkeit aus, die man heute nicht nur manchem "Völkischen" ans Herz legen könnte sondern auch in der Migrationsdebatte neuerlich einbringen darf. Keller erklärt die Schweizer Einwanderer für ebenso gute Schweizer wie jene, die schon bei Sempach für die Schweiz gekämpft hatten:
"Die Deutschen glauben uns dadurch hauptsächlich zum Schweigen zu bringen dass sie behaupten, das schweizerische Volk gehöre seiner Abstammung nach gar nicht zusammen, sondern die deutsche Schweiz gehöre eigentlich zu Deutschland, die französische zu Frankreich u. s. f. kurz jeder Theil unsres Landes gehöre zu dem seiner Abstammung entsprechenden Theil der angränzenden Staaten und das ist vorsätzliche Nichtbeachtung unseres Nationalcharakters.
Denn, zugegeben dass wir den nähmlichen Völkerstämmen entsprossen sind, wie unsere Nachbaren, so thut das durchaus nichts zur Sache. Der Geist der Generationen verändert sich unendlich u wenn wir jener Ansicht u der Bibel folgen müssten, so wäre die ganze Menschheit nur eine Nation u müsste folglich nur einen einzigen Staat ausmachen. Die jetzige Bevölkerung Englands ist entstanden aus Britaniern, Römern, Angelsachsen, Normannen, Celten u. s. f. die alle einander wechselweise besiegt, verdrängt od unterdrükt haben u doch ist die englische Nation jetzt eine Ganze, Untheilbare, originell in ihrem Charakter u weder mit den jetzigen Franzosen, noch Deutschen, noch irgendeinem Volke ähnlich. So ists auch mit den Schweizern gegangen.
Die Urkantone waren von jeher frei in ihren Bergen, man weiß von keinem Herren, der sie gesetzlich jemahls regiert hätte. Albrecht suchte sie mit Gewalt zu zwingen, | und von da an schufen sie sich ihr eigenes Geschick, u an dieses knüpfte sich nach u nach, bis auf unsere Zeiten, die ganze gegenwärtige Schweiz theils aus innerem Drange u Neigung, theils aus äußerlichem Bedürfniß an; u durch die Verfassungen, die sie sich selbst gaben, sind sie eben so verschieden worden von denen mit denen sie gemeinschaftliche Abstammung hatten.
Der Nationalcharakter der Schweizer besteht nicht in den ältesten Ahnen, noch in der Lage des Landes noch sonst in irgend etwas Materiellem; sondern er besteht in ihrer Liebe zur Freiheit, zur Unabhängigkeit, er besteht in ihrer außerordentlichen Anhänglichkeit an das kleine, aber schöne u theure Vaterland, er besteht in ihrem Heimweh, das sie in fremden, wenn auch den schönsten Ländern, befällt.
Wenn ein Ausländer die schweizerische Staatseinrichtung liebt, wenn er sich glücklicher fühlt bei uns, als in einem monarchischen Staate, wenn er in unsre Sitten u Gebräuche freudig eingeht und überhaupt sich einbürgert, so ist er ein so guter Schweizer, als einer, dessen Väter schon bei Sempach gekämpft haben."

Links:
Anhören: Gedicht von Gottfried Keller: Im Wald 1:31 min
Gottfried Keller - Universitätsbibliothek der FU Berlin
Gottfried Keller - Projekt Gutenberg
Gottfried Keller (*19.7.1819-†16.7.1890)
[Free Audiobook] Gottfried Keller - Kleider machen Leute
Heroische Landschaft (Bild: Gottfried Keller)
[Erwähnte Kalendertage in diesem Beitrag: 26. April 1840, 19.Juli 1819, 16.Juli 1890]
Anhören: Gedicht von Gottfried Keller: Im Wald 1:31 min
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Gottfried Keller (*19.7.1819-†16.7.1890)
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Heroische Landschaft (Bild: Gottfried Keller)
[Erwähnte Kalendertage in diesem Beitrag: 26. April 1840, 19.Juli 1819, 16.Juli 1890]
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