6. April 1327

Die Begegnung mit Laura. Am 6. April 1327 begegnet Francesco Petrarca in der Santa Chiara in Avignon erstmals Laura "ihr Haar frei gelöst und blonder als blankes Gold". Ihr widmet er seine berühmte Gedichtsammlung "Canzoniere", in der er seine unerfüllte Liebe zu ihr besingt. Petrarca schildert auch, dass seine Laura am 6. April 1348 an der Pest verstorben sei.

Laura. Das wird berichtet: Im alten Stadtviertel Les Roues von Avignon, in der Kirche Sainte-Claire, traf am 6. April 1327 der italienische Dichter und Gelehrte Francesco Petrarca, der 1326 in Avignon, die niederen priesterlichen Weihen empfangen hatte, Laura de Novis, die ihn zu seinen berühmten Liebes-Sonetten anregte, aber nie erhörte, zum ersten Mal. Sie war seit 1323 mit Graf Hugues de Sade, einem Vorfahren des Marquis de Sade verheiratet. Abgestoßen von der Sündhaftigkeit und Gottlosigkeit, die in der Stadt herrschten, verließ er nach wenigen Jahren Avignon, die geistige Hauptstadt Europas nannte er gar "Abfallgrube" und unterschlug sie weitgehend in seinem Werk.

Nun ob es diese Laura wirklich gegeben hat, ist fraglich. Die geschichtsbewussten "Kriminalisten" die hinter Laura her hetzen, haben ein Dutzend von Lauras ins Gespräch gebracht. Angeblich wollte man schon 1533 Lauras Grab in Avignon - wahrscheinlich auf königlichen Geheiß - ausgekundschaftet haben. Das Datum 6. April 1327 gibt Petrarca selber an und sagt, es wäre ein Karfreitag gewesen. Die Forscher haben dafür allerdings den Ostermontag festgemacht.

Petrarcas Zeitgenosse Bocaccio war schon überzeugt, dass Laura allegorisch gedeutet werden muss. Petrarca schildert auch, dass seine Laura am 6. April 1348 an der Pest verstorben sei. Das gleiche Datum (6. April) verunsichert Historiker weiter. Jedenfalls hatte die Laura zwei goldrichtige Silben für den Dichter und seine Dichtung und so konnte er mit den Silben ihres Namens Laura besingen als Atem der Lüfte – l´aura gentil, l´aura serena, l´aura celeste, l´aura mia sacra - oder als goldenen oder grünen Lorbeer der Poesie – l´aura che´l verde lauro e l´aureo crine.



Francesco Petrarca an Laura:

"So schwebst du leicht und heiter vor mir her,
Geliebte, stolz, von Liebe nichts zu wissen.
Ich folge dir, von Sehnsucht hingerissen.
- Ach, das Verlangen macht die Umkehr schwer!
Versklavt gebrochen, ohne Gegenwehr,
Verrät den Schwachen treulos das Gewissen.
Ich mühe mich in tausend Finsternissen,
Ich find die rechte Straße nimmermehr.
Zum Tode führt die Strasse, die ich schreite.
Ich weiß es, Laura, doch sie führt zu dir!
So duld ich, dass die Liebe mich geleite.
Du, Laura, gleichst des Lorbeers herber Zier:
Wer, sie verkostend, hoffte zu gesunden,
Gesundet nicht, er stirbt an seinen Wunden."

Sonett. In Italien entwickelte es sich aus der Strophenform der Kanzone oder dem italienischen Volkslied am Hof Kaiser Friedrichs II. in Palermo und wurde später von toskanischen Dichtern, vor allem Dante Alighieri, weiterentwickelt. Heute spricht man vom italienischen oder petrarkische Sonett, weil es eben Petrarca zur Hochblüte brachte. In dessen "Canzoniere" um 1327 finden sich 317 Sonetten. Ursprünglich wurden Sonetten mit musikalischer Begleitung z.B. durch die Mandoline vorgetragen und so sind auch Petrarcas Sonetten von List bis Schönberg oftmals vertont geworden.

Petrarkismus. Seit der frühen Renaissance haben Komponisten die Gedichte aus dem "Canzoniere" in unzähligen Madrigalen und mehrstimmigen Gesängen vertont. Einzelne formale und inhaltliche Elemente dieser Lyrik (Sonettform, Antithetik, lautmalerisches Spiel mit dem Namen der Geliebten, der Attribute in Art eines "Schönheitskatalogs" zugesprochen werden; sie ist ein bezauberndes, aber abweisendes Wesen, das den Dichter lustvollen Schmerz über die unerfüllte Liebe artikulieren lässt) haben in vielen Ländern Nachahmer gefunden. Diese Lyriktradition wird als Petrarkismus bezeichnet. Diese literarische Strömung im 16. Jahrhundert spiegelt sich direkt in der Musik jener Zeit.

Poeta Laureatus. Petrarca genoss bereits zu Lebzeiten als Moralphilosoph und Humanist ein hohes Ansehen. 1341 wurde er zudem in Rom zum "Poeta Laureatus" gekrönt. Nach etwa 1630 wurde es aber für fast 150 Jahre einiges stiller um Petrarca und sein Werk. Mit dem Siegeszug der Volkssprache setzte auch die Anerkennung als bahnbrechender italienischer Dichter ein. Ende des 18. Jahrhunderts wurde er von Dichtern und Komponisten wieder entdeckt. Dies gipfelte in einer wahren Petrarca-Renaissance im 19. Jahrhundert.

Canzoniere. Die unerfüllte Liebe, deren so wesentlicher Bestandteil das Leiden an der Liebe ist, liegt als Liebeskonzeption dem ganzen Laura-Thema zugrunde. Petrarcas Lyriksammlung "Canzoniere" umfasst 366 Texte, deren Entstehung sich über etwa 45 Jahre verteilt, davon die erwähnten 317 Sonetten. Petrarca hat kaum ein Werk vollendet, seine Arbeiten ("Fragmentum") hat er vielmehr immer wieder revidiert und weiter getrieben. Als er starb, saß er über der neunten Fassung der Texte. Ganz entgegen seiner sonstigen Praxis sind die Texte auch nicht in lateinischer sondern in umgangssprachlichem Italienisch gehalten. Obwohl er heute gerade wegen dieser Texte unsterblich geworden ist, geht man davon aus, dass er diesen Texten nicht jene Bedeutung beigemessen hat. Eben weil sie nicht in Latein erschienen, aber dem Meister der Selbstinszenierung wird wohl eine Verbreitung über seinen Stand hinaus beabsichtigt haben. Und deutlich wird dies in einem Brief Petrarcas: "Ich will, dass mein Leser, wer er auch sei, nur mich, nicht die Hochzeit seiner Tochter, nicht die Nacht mit der Freundin, nicht die Fallstricke des Feindes, nicht die Bürgschaft, nicht das Haus, nicht seinen Acker oder seinen Schatz im Sinn hat, und zumindest solange er liest, will ich, dass er bei mir ist. (...) Wenn dieser Pakt keine Zustimmung findet, soll er sich von den überflüssig gewordenen Texten fernhalten; ich will nicht, dass er gleichzeitig Geschäfte treibt und studiert, ich will nicht, dass er ohne Mühe aufnimmt, was ich nicht ohne Mühe schrieb."

Das Werk hat Petrarca - daran hat er selber unermüdlich gearbeitet - unsterblich gemacht. Laura hat es in den Sternenhimmel der Weltliteratur erhoben. Aus den Texten lässt sich jedenfalls eine allegorische Geschichte rekonstruieren. Er stilisiert sich als Schöpfer seiner selbst unentwegt und stets neu. Die "Seufzer des Herzens" gelten zwar der Imagination "Laura", die ein Schönheitsideal der Renaissance verkörpert. Laura wird zum Spiegel der eigenen Seelenlage und Petrarca nimmt damit die moderne Innerlichkeit vorweg. Die Begegnung des lyrischen Ich mit Laura, dem unerwiderten Liebeswerben, der Sehnsucht und Verzweiflung des Liebenden und dem Tod der Geliebten handelt zu allererst von ihm, von seinen Gefühlen, auch wenn der erste Teil, "In vita di Madonna Laura", die lebende und der zweite Teil, "In morte di Madonna Laura", die tote Laura besingen.

90. Sonett des "Canzoniere"
(Übersetzung nach Hans-Jürgen Schlütter)

Es waren die Haare aus Gold in der Luft ausgebreitet,
die zu tausend süßen Knoten sie verstrickte,
und maßlos brannte das liebliche Licht
jener schönen Augen, die jetzt so wenig davon geben;
und das Gesicht nahm mitleidsvolle Farben an
- ich weiß nicht, ob echt oder falsch -, mir schien es (so):
Ich, der ich den Liebesköder in der Brust hatte,
was wundert’s, wenn ich sofort entflammte?

Nicht war ihr Gang der einer Sterblichen,
sondern engelhafter Art, und die Worte
klangen anders als von bloß menschlicher Stimme;
ein himmlisches Wesen, eine lebendige Sonne
war das was ich sah, und wenn sie auch jetzt nicht (mehr) so wäre:
(Eine) Wunde heilt durch Lockerung des Bogens nicht!

Geburtsurkunden. Petrarca wird nicht ungern als erstgeborener moderner Intellektueller gehandelt. Als Sohn eines aus Florenz verbannten Notars wuchs Petrarca teils in Italien, teils in der Umgebung des Papsthofes in Avignon auf. Nach einem Jurastudium erhielt er 1326 die Weihe zum Geistlichen. Petrarca setzte allerdings ganz auf eine philosophisch-literarische Karriere und begab sich auch deshalb immer wieder in Abhängigkeit von weltlichen und kirchlichen Herren, um die eigenen Projekte voranzutreiben.

Antike. Ein Hauptaugenmerk galt der Wiederentdeckung antiker Autoren. Unermüdlich suchte er auf seinen Reisen nach verschollenen Handschriften. In seinen in lateinischer Sprache abgefassten Schriften, dem weitaus größten Teil seines Werkes, waltet das Prinzip einer produktiven Auseinandersetzung mit den antiken Vorlagen. Beispielhaft in dieser Hinsicht sind das Epos Africa (1338-43) oder die Biographiensammlung De viris illustribus (Von berühmten Männern). Weiterhin versuchte Petrarca, die antike Philosophie mit der zeitgenössischen christlichen zu verbinden. Mit dem Dialog Secretum (Gespräch über die Weltverachtung) wandte er sich direkt an den Kirchenvater Augustinus, um das Verhältnis von Glauben und Dichtung zu diskutieren. In De vita solitaria (Vom einsamen Leben) oder De otio religiosorum (Von der Muße der Mönche) werden Weltflucht und Meditation beschworen, aber zunehmend in den Dienst der Dichtung gestellt.

Humanismus. Seine Bedeutung als führender Geist des Frühhumanismus liegt in seinen zahlreichen, oft in Hexametern abgefassten Kunstbriefen. Sie richten sich an tote (Cicero, Seneca, Homer) oder lebendige (Boccaccio) Freunde und Verwandte des Dichters und bilden in ihrer Gesamtheit eine erste moderne Autobiographie.

Alpinismus. Doch er ist auch ein Fast-Schutzpatron der Bergsteiger und Alpinisten. "Den höchsten Berg dieser Gegend, den man nicht unverdient Ventosus, den Windumbrausten, nennt, habe ich am heutigen Tage bestiegen, einzig von der Begierde getrieben, diese ungewöhnliche Höhenregion mit eigenen Augen zu sehen" schrieb er in einem Brief an Francesco Dionigi von Borgo San Sepolcro. Am 26. April des Jahres 1336 erreichte Francesco Petrarca, "lediglich aus Verlangen", zusammen mit seinem Bruder und zwei weiteren Begleitern den Gipfel des Mont Ventoux, den Windberg. Man bezeichnet ihn als den "Vater der Bergsteiger" und den 26. April 1336 als den "Geburtstag des Alpinismus".

Das Neuartige an dieser Schilderung besteht in der Naturwahrnehmung, die sich von der symbolischen Landschaftserfahrung des Mittelalters abhebt. Andererseits kommt hier wieder ein Ich zur Sprache, welches das eigene konkrete Erleben von Raum und Zeit nicht mehr in einem göttlichen Zusammenhang aufgehoben sieht. Einige Interpreten haben diesen Brief deswegen auch als die Geburtsurkunde der modernen Subjektivität gelesen.

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