Lily Braun: Verschüttete sozialdemokratische Geschichte - vergessenene Frau? Am 8. August 1916 starb Lily Braun (* 2. Juli 1865 in Halberstadt; † 9. August 1916 in Berlin), eine große Sozialdemokratin nach längerer Krankheit, völlig ausgebrannt und überarbeitet im Alter von erst 51 Jahren. Der frühe Tod ersparte ihr die Erfahrung, dass ihr Sohn Otto Braun als 20jähriger im April 1918 im ersten Weltkrieg in Frankreich fallen wird. Aber heute, mehr als hundert Jahre nach ihrem Buch zur Frauenfrage warten ihre progamatischen Forderungen immer noch auf Realisierung.
Lily Braun, geboren 2. Juli 1865 als Tochter eines preußischen Generals in Halberstadt, verbrachte ihre Jugend als Tochter aus gutbürgerlichem, ja, aristokratischem Haus. Sie war also das, was man damals wie heute noch "eine gute Partie" nennt. Zunehmend empfand sie jedoch die Leere ihres Daseins und erkannte im Alter von 23 Jahren ihre bürgerliche Deexistenz als Frau: "Ich arbeite nicht nur nichts, ich lebe nicht einmal, sondern werde gelebt."
Ende der 1880er Jahre lernte sie in Berlin ihren ersten Mann kennen, den im Rollstuhl arbeitenden Philosophie- und Volkswirtschaftsprofessor Georg von Gyzicki, der, ohne je Parteimitglied zu sein, der Sozialdemokratie nahestand. Heute würden wir ihn in die Schublade der "Kathedersozialisten" stecken.
Napoleon zu Montfort. Lily wurde von ihrer Großmutter und eben auch von Gyzicki zu literarischem und politischem Engagement ermutigt. Apropos Großmutter: Diese (Jeromée Catharina Jenny Rabe von Pappenheim) war eine außereheliche Tochter des Bruders von Napoleon, Jérôme Bonaparte, zeitweise König von Westphalen. Der Würtembergisdche König machte ihn zu einem Prinzen von Montfort (!). Die Großmutter hatte auch die Enkel von Goethe unterrichtet.
Doch zurück zu Lily Braun. Sie begann sich mehr und mehr für die Lebensbedingungen des Arbeiterproletariats und vor allem der weiblichen Arbeiterinnen zu interessieren. Nach dem Tod ihres Ehemannes Gyzickis war Lily weitgehend auf sich allein gestellt; von ihrer Familie hatte sie sich schon vorher gelöst. Mit ihrem Entschluss, der SPD beizutreten und sich dort politisch zu betätigen, setzte sie sich zwischen alle Stühle: während ihre Familie sich deswegen von ihr distanzierte, sie sogar enterbt wurde, begegnete man ihr innerhalb der SPD wegen ihrer gutbürgerlichen Herkunft mit allergrößtem Mißtrauen und sogar mit Ausgrenzung.
Lily Braun versuchte unermüdlich, die bürgerliche Frauenrechtlerinnen mit den Ideen der Sozialdemokratie vertraut zu machen. Sie bestand darauf, dass diese "bösen Bourgeois" auch Menschen sind und dass der Sozialismus die Befreiung aller Menschen anstreben müsse! Hinzu kommt, dass Braun sich im Revisionismusstreit eindeutig auf die Seite Bernsteins stellte, eine Haltung, die Lily Braun teilte. Dies verschärfte ihre innerparteiliche Situation noch.
"Die Sozialdemokratie verlangt von ihren Vertretern, dass sie auf dem Boden des Klassenkampfes stehen. Ich gestehe Ihnen offen, dass weder mein Mann noch ich diesen Satz verstanden haben."
(an den österreichischen Sozialdemokraten Karl Kautsky, 16. Mai 1895)
Clara Zetkin. Damit vertrat sie die Gegenposition zu Clara Zetkins Politik der "reinlichen Scheidung", die jede Kooperation mit bürgerlichen Frauen grundsätzlich ausschloss. Clara Zetkin befürchtete, dass die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen versuchen würden, die Arbeiterinnen für ihre Sache zu gewinnen: für den Weg der Reformen und nicht für den Klassenkampf. Clara Zekin und Lily Braun gerieten um die Jahrhundertwende über diese Frage in einen offenen Kampf. In der Literatur wird der Streit auch als Machtkampf der zwei Frauen um den Führungsanspruch innerhalb der Arbeiterinnenbewegung gedeutet. Clara Zetkin behielt dabei dei Oberhand. Sie nahm ihrer Widersacherin die Mitherausgeberschaft der "Gleichheit" ab und sorgte dafür, dass diese fortan nicht mehr in der Zeitschrift publizieren konnte. Damit hatte Clara Zetkin die bedeutendste Sprecherin des reformistischen Flügels der sozialdemokratischen Frauenbewegung mundtot gemacht. Clara Cetkin setzte sich obendrein dafür ein, dass 1902 gegen Lily Braun ein Ausschlussverfahren aus der Sozialdemokratischen Frauenorganisation wegen angeblicher Unzuverlässigkeit angestrebt wurde. Das Verfahren wurde zwar 1907 zu Lily Braun’s Gunsten entschieden, dennoch zog sie sich aus der Parteiarbeit zurück. Clara Zetkin hingegen "übersiedelte" 1919 dann wirklich zu den Kommunisten.
1901 erschien ihr theoretisch wie schriftstellerisch bedeutendes Buch: "Die Frauenfrage, ihre geschichtliche Entwicklung und wirtschaftliche Seite". Es wurde ein Standardwerk, das noch heute aktuell ist. Wie aktuell, dasd zeigt ihr an der politischen Praxis orientierter Forderungskatalog, der noch heute unverminderte Aktualität hat: Sie beschäftigt sich darin u.a. mit der Doppel- und Dreifachbelastung der berufstätigen Frau, propagierte "die Herabsetzung der Arbeitszeit auf das geringste Tagesmaß, um den Kindern nicht nur die Mutter, sondern auch den Vater zurückzugeben.". Sie befürwortete ein neues Konzept des Zusammenlebens: Bestimmte Berliner Häusergruppen sollten eine gemeinsame Zentralküche unterhalten, um die berufstätige Hausfrau vom Dilettantismus in der Küche zu befreien. Zu den Gemeinschaftseinrichtungen gehörten auch Kinderspielplätze, wo von den Eltern angestellte Erzieherinnen die Kinder betreuen sollten Während August Bebel (1840-1913) das Buch äußerst positiv besprach, lieferte Clara Zetkin in der "Gleichheit" einen völligen Verriss. Die letzten Jahr ihres Lebens widmete sie ganz ihrer schriftstellerischen Tätigkeit. Ihre "Memoiren einer Sozialistin", eine Mischung aus Liebesgeschichten, Schilderung der feudalistischen Welt und politischen Bekenntnissen, wurde ein Riesenerfolg.
Links:
Online Verfügbare kostenlose eBooks:
Die Liebesbriefe der Marquise / Memoiren einer Sozialistin - Lehrjahre
Memoiren einer Sozialistin (Autobiography)
Frauenfrage und Sozialdemokratie - Reden anlässlich des Internationaklen Frauenkongesses in Berlin (1896)
Im Projekt Gutenberg-DE vorhanden
* Die Liebesbriefe der Marquise (Briefroman)
* Im Schatten der Titanen Erinnerungen an Baronin Jenny von Gustedt
* Lebenssucher (Roman)
* Madeleine Guimard (Opernlibretto)
* Memoiren einer Sozialistin - Lehrjahre (Autobiographie)
* Memoiren einer Sozialistin - Kampfjahre (Autobiographie)
* Mutter Maria (Drama)
[Erwähnte Kalendertage in diesem Beitrag: 2. Juli 1865, 9. August 1916, 16. Mai 1895]
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[Erwähnte Kalendertage in diesem Beitrag: 2. Juli 1865, 9. August 1916, 16. Mai 1895]
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