13. April 1919 - Cafe Wahnsinn


Cafe Wahnsinn verhaftet: Am 13. April 1919 wird der Literat Erich Mühsam mit den insgesamt zwölf Zentralratsmitgliedern der Münchner Räterepublik von Putschisten verhaftet. Obwohl die Putschisten sich nicht über den Abend des Tages halten können, ist Mühsam bereits aus München gebracht worden und bleibt sechs Jahre in Haft.

Münchner Räterepublik. Das Ganze fing eigentlich damit an, dass etwas konstruiert wurde, was es bis dahin nicht gab und auf das die Bayern bis heute stolz sind: den "Freistaat Bayern". Am 7. November 1918 war in München im Zuge der Novemberrevolution ein Arbeiter- und Soldatenrat mit Kurt Eisner als Vorsitzendem gegründet und der Freistaat Bayern ausgerufen worden; am 8. November 1918 bildeten USPD und SPD eine Koalitionsregierung mit Eisner (USPD) als Ministerpräsidenten und Außenminister und Erhard Auer (SPD) als Innenminister, am 5. Dezember 1918 setzte das Kabinett die Neuwahlen zum bayerischen Landtag für den 12. Januar 1919 fest. Eisners Verdienst in diesen Tagen war es, dass die Arbeiter- und Soldatenräte in München ohne Blutvergießen die Macht übernahmen. Seine Vision war es, das parlamentarische System mit einem relativ starken Einfluss der Arbeiterräte zu verbinden.


Café Wahnsinn. Die radikale Linke – Kommunisten, Anarchisten, Kaffeehausliteraten und Biertischpolitiker mit u. a. den Schriftstellern Erich Mühsam, Ernst Toller und Gustav Landauer an der Spitze – sprach sich gegen die Landtagswahlen und für ein Rätesystem aus. Die SPD forderte daraufhin die Einrichtung von Bürgerwehren zum Schutz der Republik; die USPD und die Soldatenräte lehnten diese Forderung ab, woraufhin Auer zurücktrat. Aus der Wahl zum verfassungsgebenden Landtag am 12. Januar 1919 ging die vor allem von der ländlichen Bevölkerung gewählte Bayrische Volkspartei mit 35 Prozent zwar vor der SPD (33 Prozent) als stärkste Fraktion hervor, war jedoch noch nicht durchsetzungsfähig genug, um in die erste - parlamentarische - Koalitionsregierung (zwischen SPD, USPD und Bayerischem Bauernbund) zu gelangen. Die USPD des Ministerpräsidenten Kurt Eisner erreichte nur 3 Landtagsmandate, während die SPD 61 Abgeordnete stellte und die konservative Bayerische Volkspartei sogar 66. Durch den Wahlboykott der Linken, Kommunisten und Anarchisten blieben die Rätegegner im Landtag unter sich.

Eisner fügte sich der neuen Mehrheit und plante für die erste Sitzung am 21. Februar 1919 seinen Rücktritt als Ministerpräsident. Dazu sollte es nicht mehr kommen. Auf dem Weg zum Landtag ermordet der 22jährige Leutnant - ein gebürtiger Oberösterreicher - Anton Graf von Arco-Valley den Ministerpräsidenten. Der Leutnant wurde übrigens zum Tode verurteilt, der Richter hielt allerdings im Urteil fest, dass seine Tat "nicht niederer Gesinnung, sondern glühender Liebe zum Vaterland entsprungen" sei. So wurde er auch am nächsten Tage schon begnadigt. Es war derselbe Richter, der Hitler wegen des Putsches von 1923 (Feldherrnhalle) milde verurteilte, obwohl Hitler mit Ludendorff und anderen bei diesem Putsch vier Polizisten erschossen und 20 Kisten Banknoten geraubt hatte. Es war praktisch ein Freispruch: fünf Jahre Haft, die Mindeststrafe für Hochverrat, zu verbüßen in ehrenvoller, hotelähnlicher "Festungshaft" in Landsberg am Lech. Die Richter stellten dem Angeklagten die baldige Entlassung in Aussicht. Was auch geschah: Am 1. April 1924, erging das Urteil des Bayerischen Volksgerichts München I, am 19. Dezember 1924 war der Putschist bereits "zur Bewährung" entlassen.


Alternative Abverkaufsschütte. Doch zurück zu den Ereignissen: Dass nach dem Mord an Eisner die Anhänger der Revolution die Räterepublik durchsetzen wollten, sollte sich verheerend auswirken. In München gab es eine Szene von Intellektuellen, Künstlern und Schriftstellern, die linken Utopien verschiedener Provenienz anhingen - Sozialisten, Kommunisten, Lebensreformer, Anarchisten. Als sie die Wut und Verzweiflung der Arbeiter nach Eisners Tod erlebten und ihre Rufe nach der Räterepublik hörten, bekamen sie das unwiderstehliche Gefühl, dass die Stunde gekommen sei. Am 7. April 1919 verkündeten die Münchner Räte auf Plakaten dem bayerischen Volk: "Baiern ist Räterepublik." Und was sich da alles dann versammelte, liest sich wie aus der Abverkaufsschütte eines alternativen Buchladens. Ernst Toller notierte auch selbst: Verkannte Lebensreformer bieten ihre Programme zur Sanierung der Menschheit an. Die einen sehen die Wurzel des Übels im Genuss gekochter Speisen, die anderen in der Goldwährung, die dritten im Tragen unporöser Unterwäsche, die vierten in der Maschinenarbeit, die fünften im Fehlen einer gesetzlich vorgeschriebenen Einheitssprache und Einheitskurzschrift, die sechsten machen Warenhäuser und sexuelle Aufklärung verantwortlich.

Die erste offiziell ausgerufene Räterepublik vom 7. April bis 13. April 1919 war von Literaten wie dem Pazifisten Ernst Toller (USPD) oder den parteilosen Anarchisten Gustav Landauer und Erich Mühsam geprägt. Auch der Finanztheoretiker und Begründer der Freiwirtschaftslehre, Silvio Gesell, wurde als Finanzminister Mitglied in der Regierung der ersten Räterepublik, dem sogenannten "Zentralrat". Toller und Landauer beteiligten sich auch nach der Führungsübernahme durch die KPD, die die erste Räterepublik als Scheinräterepublik bezeichnet hatte, an der kommunistisch dominierten zweiten Räterepublik. Allerdings trat Landauer, enttäuscht von der Haltung und Politik der KPD-Führung, schon drei Tage später von seinen politischen Funktionen und Ämtern zurück.

Bei aller Hoch- und Geringschätzung durch die Nachgeborenen, die allzu leicht erklären, wer wen verraten hat und enthusiastisch die Münchner Räterepublik als Emanzipation und Revolution verklären, das Ganze hätte sich wohl mit ein bisschen Geduld aller Wahrscheinlichkeit nach bald selber aufgelöst. Doch das kann man heute so sehen. Man kann es aber auch so sehen: Immerhin hatte eine durch niemand legitimierte Minderheit unter der Führung einiger Kaffeehausliteraten (die bei den Wahlen gerade mal 2,5 Prozent erreicht hatte) die Macht an sich gerissen. So ist es zum Blutbad gekommen. Reichswehr und Freikorps marschierten in Bayern ein und metzelten auch unbeteiligte Arbeiter nieder.


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